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006 - Der lebende Leichnam

006 - Der lebende Leichnam

Titel: 006 - Der lebende Leichnam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Randa
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zusammen. Der Aufprall ist so heftig, dass sie gegen die Mauer taumelt. Obwohl sie sich nicht wehgetan hat, stößt sie einen Schrei aus.
    Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Sie fällt auf die Knie. Ihr Gesicht drückt panische Angst aus. Ich kann ihr nicht zu Hilfe kommen. Das würde sie noch mehr erschrecken. Außerdem empfinde ich keinerlei Mitleid mit ihr, das ganze amüsiert mich eher.
    Ich lache laut auf und laufe weiter. Trotzdem nehme ich mir vor, in Zukunft besser aufzupassen. Zum Glück bin ich nicht mehr weit von der Neuilly-Brücke entfernt, wo ich die Metro nehmen kann.
    Ich sitze in einem Wagen, der bis zur Station Franklin Roosevelt leer bleibt. Natürlich habe ich die Schiebetür öffnen müssen, aber niemand hat darauf geachtet. Ich bin nass bis auf die Haut. Komisch, ich trage nur den Schlafanzug aus der Klinik.
    Einen Augenblick lang stockt mir der Atem. Der Stoff des Schlafanzugs ist greifbar. Zumindest erscheint es mir so, und deshalb glaube ich, dass man ihn sehen müsste. Ja und nein. Wahrscheinlich bilde ich mir das nur ein. Ich sehe mich im Schlafanzug, weil ich ihn in dem Augenblick trug, da ich meinen Körper verließ.
    Franklin Roosevelt. Ich begebe mich in einen fast leeren Gang und fange wieder an zu laufen. Ich muss umsteigen. Ich finde keinen leeren Waggon, aber es gelingt mir, in die erste Klasse einzusteigen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
    Ich beobachte die anderen Fahrgäste. Zum Glück sind es nur drei. Ich setze mich auf eine Bank, bereit, über die Lehne zu springen, sobald sich jemand mir nähert.
    Alma-Marceau.
    Zwei Fahrgäste steigen aus, und niemand steigt zu. Allmählich fühle ich mich sicher. Außer mir befindet sich jetzt nur noch ein Mann im Waggon. Er lehnt an einer der Stangen gegenüber der Tür und liest eine Abendzeitung.
    Jena. Er steigt aus. Gott sei Dank! Jetzt habe ich den ganzen Waggon für mich und kann mich entspannen.
    Trocadero.
    Auf dem Bahnsteig wertet unter dem Schild »Erste Klasse« eine Frau. Sie steigt ein. Ich gehe ans andere Ende des Waggons und beobachte sie.
    Mein Herz schlägt zum Zerspringen. So ein Glück! Ich erkenne die Frau wieder. Marie Sauvage. Sie ist allein.
    Das Schicksal meint es gut mit mir. Als sich der Zug wieder in Bewegung setzt, nähere ich mich Artofs ehemaliger Sekretärin, der Frau, die mich ins Verderben stürzen kann.
     

     
    Eine sehr hübsche, elegant gekleidete, mittelgroße Frau. Ein Engelsgesicht, aber ich weiß, was sich dahinter verbirgt. Sie trägt ein helles Kostüm, das nicht ganz der Jahreszeit entspricht, aber ihre blendende Figur hervorragend zur Geltung bringt.
    Um den Hals einen Seidenschal, am Arm einen Regenschirm und eine große Handtasche aus Krokodilleder. Die Enden des Schals baumeln über ihren Rücken. Das erleichtert mir mein Vorhaben.
    Behutsam ergreife ich die Schalenden und ziehe mit einem Ruck an, während ich ihr gleichzeitig mein Knie in den Rücken drücke. Sie schlägt wild um sich, will sich befreien und stößt einen grässlichen Schrei aus.
    Aber ich halte sie fest, lasse nicht locker. Der Zug fährt in die Station Pompe ein. Sie lebt noch immer und wehrt sich aus Leibeskräften. Fluchend versuche ich, sie zu Boden zu reißen.
    Leider hat man gesehen, wie sie um sich schlug und nach hinten kippte. Ich drehe ein letztes Mal den Schal zusammen, dann muss ich sie loslassen, weil zwei Männer einsteigen und auf sie zustürzen.
    Ohne mich zu sehen, natürlich. Ich bin schnell in eine Ecke gesprungen, und der Zug fährt ab. Die beiden Männer haben sich neben Marie hingekniet und lösen den Schal von ihrem Hals.
    Man sieht ihnen ihre Ratlosigkeit an. Der eine ist der Stationsvorsteher, der andere ein älterer, korpulenter Beamtentyp.
    »Sie atmet noch«, sagt er. »Soll ich die Notbremse ziehen?«
    »Nicht nötig, wir kommen gleich nach Muette.«
    Sie heben Marie Sauvage auf, um sie auf eine Bank zu legen, und fangen sofort an, sie künstlich zu beatmen. Verdammtes Pech! Noch ein paar Sekunden, und sie wäre erledigt gewesen.
    Ich ärgere mich maßlos über mich selbst. Plötzlich fällt mein Blick auf die Handtasche, die am Boden liegt. Marie trug immer eine Waffe bei sich, das heißt, als sie noch für Artof arbeitete. Die beiden Männer sind zu sehr beschäftigt, um auf die Handtasche zu achten. Ich hebe sie auf und öffne sie hinter einer Bank.
    Sie enthält tatsächlich einen Revolver. Die Zeit drängt, denn bald kommen wir nach Muette. Ich klettere über die Bänke, stelle mich hinter

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