006 - Der lebende Leichnam
indirekt. Eines Tages hörte ich, dass Marco Artofs Angebot angenommen hatte. Von da an überwachte ich ihn. Ich folgte ihm, als er zum Zentrum fuhr. Mein Plan war, ihn den Diebstahl begehen zu lassen und dann der Spionageabwehr auszuliefern, die sich bestimmt nicht geweigert hätte, meine Dienste anzunehmen.«
Ich bin sicher, dass Fautrier diese Version nicht widerlegen kann. Sie entspricht genau dem, was er im Lauf seiner Ermittlungen feststellen konnte. Drei Einbrecher laut Hausmeister – und die Aussage Marie Sauvages, die nun für immer unvollständig bleiben würde.
Marlat ist noch immer nicht überzeugt. Ich lese in seinen Gedanken ein Misstrauen, das mir Sorge bereitet, denn eigentlich hat er keinen Grund, an meinen Worten zu zweifeln. Instinktiv beginne ich, ihn zu beeinflussen. Er schließt zweimal die Augen und bewegt den Kopf, als wollte er eine Fliege verjagen, die ihn belästigt.
Er sagt: »Gestern hat der Untersuchungsrichter mit mir gesprochen und mir mitgeteilt, was gegen Sie vorliegt. Angeblich gibt es eine Zeugin, von deren Aussage er sich viel verspricht. Eine gewisse Marie Sauvage.«
»Artofs Sekretärin. Ich gebe ohne weiteres zu, dass sie mit mir Verbindung aufgenommen hat.«
»Ja. Sie hat sogar eine Aussage in dieser Richtung gemacht. Nur, Fautrier hat sie nach dem Kommissar verhört. Nicht offiziell sozusagen. Dabei hat sie noch einiges mehr gesagt. Aber aufgrund Ihres Gesundheitszustandes hat Fautrier vorläufig die Ermittlungen unterbrochen. Er wird Marie Sauvage noch einmal verhören.«
»Hat man ihre Aussage zu Protokoll genommen?«
»Ich glaube nicht.«
Ich bin erleichtert und kann ein triumphierendes Lächeln nicht unterdrücken. Marlat reagiert sofort und fragt sich, warum ich mich wohl so sicher fühle.
»Ich werde sofort den Untersuchungsrichter benachrichtigen. Natürlich ändert das Ihre Lage ein wenig.«
»Wurde bereits ein Haftbefehl gegen mich erlassen?«
»Nein. Aufgrund Ihres Gesundheitszustandes war das ja nicht nötig.«
»Also darf ich die Klinik verlassen, wenn ich zum Beispiel Lust habe, spazieren zu gehen.«
»Ja, wenn Sie sich stark genug dazu fühlen.«
»Das meinte ich nicht, sondern vom juristischer! Standpunkt aus.«
»Nein, niemand hat etwas dagegen.«
»Das wollte ich wissen.«
Ich zünde mir eine zweite Zigarette an. Marlat beobachtet mich eine Weile, dann verlässt er wortlos das Zimmer.
Als sich die Tür hinter ihm schließt, kann ich ein kurzes bitteres Lachen nicht unterdrücken, und Mireille dreht sich überrascht nach mir um.
»Ich habe es satt, das Versuchskaninchen zu spielen. Die Wissenschaft kann mir gestohlen bleiben.«
Alles in allem bin ich ganz zufrieden. Natürlich muss ich auf der Hut sein, wenn Fautrier wiederkommt. Ich werde ihm Artof als einen gefährlichen Spion schildern, der an der Spitze einer Geheimorganisation steht. Wenn nötig, werde ich mich sogar an die Spionageabwehr wenden.
»Sie sind noch zu schwach, um spazieren zu gehen, Jean.«
»Ich?«
Ich stehe auf und fange wieder an, hin und herzugehen. Diesmal geht es noch besser. Ich mache Kniebeugen, dann nehme ich Anlauf und springe über die Sessellehne.
»Sind Sie jetzt immer noch der Meinung, dass ich zu schwach bin?«
Meine Fortschritte verwirren sie. Mich auch übrigens. Sie wird blass und sagt leise: »Das ist nicht normal.«
»Vielleicht. Nicht normal im üblichen Sinn. Aber ich glaube, dass mit mir etwas geschehen ist, das vieles in mir verändert hat.«
Plötzlich fühle ich mich von einer unbändigen Lebenskraft erfüllt, und es drängt mich danach, sie unter Beweis zu stellen.
»Glauben Sie bloß nicht, dass ich mich wieder ins Bett legen werde.«
»Sie machen mir Angst.«
Vielleicht übertreibe ich und sollte vorsichtiger sein. Ich spüre, dass ihre Furcht wächst. Eine fast abergläubische Furcht. Instinktiv fühlt sie sich in meiner Gegenwart unbehaglich.
Ich dringe in ihre Gedanken ein und beherrsche sie sofort, obwohl sie sich heftig dagegen wehrt. Die Idiotin glaubt, gegen sich selbst zu kämpfen. Gegen das Böse in ihr. Einfach lächerlich.
Nach und nach gelingt es mir, ihre Bedenken zu zerstreuen, und ich zwinge sie, sich mir zu nähern und in meine Arme zu kommen. Während sie mich küsst, kontrolliere ich weiterhin ihr Unterbewusstsein.
Sie weiß nicht mehr ein und aus. Ich merke, dass es mir ein leichtes wäre, ihren Widerstand zu brechen. Mein Einfluss hat nichts mit Hypnose zu tun, die ja letztlich doch nur oberflächlich
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