006 - Ende eines Quellherren
anderen demonstrativ zur Seite. Die Augen Shans ließen ihm keine Wahl.
Tremish hatte sich wieder gefangen und ignorierte den ungeladener Gast, der sich schon im sicheren Griff der Wächter befand. »Wir können Sirmah nicht dem Hungertod überlassen«, fuhr er fort, wo er unterbrochen wurde. »Das sind wir ihrem Alter schuldig. Es ist der letzte Dienst, den wir dem dahin gegangenen Quellherren Gotan erweisen können.« Seine Stimme hob sich ein wenig. »Allerdings kann ich nicht zu viele unnütze Esser aufnehmen. Ich brauche auch Clansleute, die zupacken und sich vor der Arbeit nicht scheuen. Und ich brauche Platz für neue Clansmitglieder! Daher beanspruche ich erneut das alte Turmgebäude Gotans für mich, ebenso die drei jungen Töchter Sirmahs.«
Der hagere Mishan richtete sich auf. »Denen habe ich bereits die Aufnahme in meinem Clan angetragen. Ihr alle wisst, dass ich kein Glück mit meinen Frauen hatte. Eine starb bei der Geburt des Nachfolgers, eine stürzte sich vom Felsen. Unserer Familie fehlen junge Clansträgerinnen, die frisches Blut in die Gemeinschaft bringen.«
Verstohlen blickte Tritar wieder nach hinten, wo Gotan vergeblich versuchte, den Griff der Wächter abzuschütteln. Der Quellherr senkte den Kopf. So in der Gegenwart eines Mannes zu reden, der noch nicht den ehrenvollen Weg antreten konnte … Er fühlte sich an eine Horde Aasfresser erinnert, die sich um die saftigsten Fleischbrocken eines noch lebenden Opfers stritten.
Er bedachte Tremish mit einem verächtlichen Blick. Dieser Wortführer der letzten Ratsversammlungen hatte es immer verstanden, sich am Unglück anderer Clans zu bereichern und seine Habgier als Barmherzigkeit auszuweisen. Doch die Zeiten, in denen der Rat nur Streitigkeiten zu schlichten hatte, waren unwiderruflich vergangen, seit die Sonne, der unbarmherzige Glutofen über den Dächern Shabrans, immer mehr Land gefressen hatte und immer wieder Clans in sich zusammengebrochen waren.
Warum wagte keiner der Quellherren zu äußern, dass sie nur gemeinsam gegen die Natur bestehen konnten? , fragte sich Tritar. Warum versuchte jeder, seine eigene Macht auf Kosten der anderen zu vergrößern?
Plötzlich ertönte hinter ihm ein Aufschrei, gefolgt von dumpfen Kampfgeräuschen. Gotan hatte sich von seinen Bewachern los gerissen, war über die Barriere gesprungen und drängte sich nun an Tritar vorbei zu dem etwas erhöht sitzenden Ratssprecher.
»Kennst du mich nicht mehr?«, brach es aus ihm hervor. »Wie kannst du solche Verstoße gegen die Sitten zulassen?« Er holte erregt Luft und spuckte voller Abscheu aus. »Früher, da wartete man, bis der Quellherr Abschied von seinem Clan nahm und seinen Namen an Shabran zurückgegeben hatte. Damals achtete man noch darauf, welcher neuen Familie die Clansmitglieder zugeschlagen werden sollten. Kein Clanshaus sollte mächtiger sein als ein anderes.« Anklagend wies er auf Mishan. »Ihr wisst, dass dieser Quellherr seit Jahren versucht, meine Töchter für sich zu gewinnen. Immer wieder haben sie ihn abgewiesen und nun versucht er es auf diese Art. Früher fragte man den Scheidenden, wie er den Clan aufteilen wollte. Früher, da …« Seine Stimme verlor sich und er stand gesenkten Hauptes da, bis ihn die Wachen packten und zurück zum Eingang zerrten.
Tremish warf einen Blick auf den alten Sprecher Glaukol, der wie erstarrt über die Unverfrorenheit Gotans kein Wort über die Lippen bringen konnte und lächelte schief – eine unausgesprochene Aufforderung an Glaukol, der auch sofort reagierte.
»Es reicht!«, schrie er. »Du verletzt in unglaublichem Maß Sitte und Anstand und wirfst mir vor, ich würde die Einhaltung der alten Gebräuche vernachlässigen! Du hast nicht nur mich, du hast auch Shan beleidigt!« Noch immer vor Entrüstung zitternd, richtete er sich auf und deutete auf den Ausgang. »Wachen, schafft die Ausgeburt der Gosse hinaus! Lasst ihm ein paar Stunden Zeit und schließt ihn dann in Shans Höllenschächten ein. Dort mag er tagelang über seine Sünden nachdenken, ehe ihn der Durst tötet. Die Gnade Shans wird ihm verwehrt bleiben. Ihr sorgt mir dafür!«
Tremish wartete einen Moment, bis sich das Geraune der Quellherren gelegt hatte und der Gescheiterte abgeführt worden war und ergriff dann wieder das Wort, ehe ein anderer Quellherr um Gehör bitten konnte. »Ist dies nicht der endgültige Beweis, dass Shan in seiner unergründlichen Weisheit den Richtigen bestraft hat?«, fragte er mit einem Blick auf die
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