006 - Ende eines Quellherren
begegnete. Vor allem die weitläufigen Anlagen am Fuß der Gebäude blieben ungenutzt und hatten anfangs den Namenlosen, den Geächteten und Ausgestoßenen, als Unterschlupf gedient.
Die Alten hatten schon gewusst, wie man solche Gebäude zu errichten hat , dachte Tritar mit einem Anflug von Stolz, der ihn selbst verblüffte. Waren nicht auch die Alten schuld daran, dass der Rat der Quellherren angesichts der sich immer mehr verschärfenden Lage bald nur noch ein streitender, keifender Haufen war, von dem jeder versuchte, den eigenen Einfluss und Reichtum auf Kosten der Gescheiterten zu vergrößern? Wie sie alle dasaßen in ihren bis zu den Knöcheln fallenden, bunt bestickten Ratsgewändern, auf der Brust eines jeden das Clanszeichen, das sie als Quellherren auswies. Und erst Glaukol, der allein vor einer Wand saß, die von schweren Stoffballen bedeckt war; sie verhüllten die achteckigen, alles sehenden und alles wissenden Augen Shans.
Aber sie hatten Glaukol keine Weisheit verliehen.
Tritar versuchte, die Hitze abzuschütteln, aber es gelang ihm nicht. Für einen Moment erwog er, in seine kühlen Gemächer zurückzukehren, Zeta, seine Clansträgerin, zu zwingen, das Nachtlager mit ihm zu teilen. Zu lange schon hatten sie beide in Abstinenz gelebt und in dem gleichen Maß, wie sie sich auf dem Lager entfremdet hatten, war auch ihr Zusammengehörigkeitsgefühl geschwunden. Doch er begehrte sie noch immer, wurde ihm in diesem Augenblick, als er an Gotan und dessen Schicksal dachte, deutlicher bewusst als je zuvor.
Das Geräusch schwerer Schritte riss ihn aus seinen Gedanken; er war froh darüber, seine Aufmerksamkeit von den Problemen abwenden zu können, die ihn plagten und für die es im Moment sowieso keine Lösung gab.
Zwei Wachen kamen den Steg entlanggelaufen; ihre farbenprächtigen Monturen und die Lichtgewehre in ihren Händen wiesen sie als Mitglieder der Quellgarde aus. Ihr Ziel war zweifellos das Ganglion.
»Wartet!« Er stellte sich ihnen in den Weg. »Ich bin Quellherr Tritar«, sagte er, obwohl sie ihn zweifelsohne an seinem Emblem erkannt haben mussten. »Warum die Eile?«
»Es ist unerhört«, keuchte die erste Wache. »Gotan …«
»Was ist mit ihm?«
»Er hat die Anstandslosigkeit besessen, sich von der Felsennase zu stürzen«, verkündete der Waffenträger.
Tritar stöhnte unterdrückt auf.
Aber Gotan war nicht der erste und er würde auch nicht der letzte sein. Der Quellherr entsann sich nur zu gut an Talaman oder an Korda und an all die anderen, die entweder unehrenhaft zu Namenlosen geworden oder in allen Ehren den Weg des Vergessens gegangen waren.
Aber sich einfach das Leben zu nehmen … unehrenhaft vor Shan zu treten …
»Sie haben ihm keine Wahl gelassen«, murmelte er. »Sie haben ihm noch nicht einmal erlaubt, seine letzten Besitztümer zu ordnen, ihm kein Mitspracherecht bei der Verteilung seiner Güter und Clansergebenen gewährt …«
»Quellherr«, sagte der Wachmann, »wir müssen es dem Rat mitteilen.«
Tritar nickte und trat zur Seite, um die anderen passieren zu lassen. Sie öffneten das Metallportal.
Im Ganglion war die Beratung mittlerweile zu einem Ende gekommen; Shansprecher Glaukol hatte die schweren Vorhänge zurückgezogen, die die hintere Wand und damit die achteckigen, leuchtenden Augen Shans bedeckten, um vor ihnen das Ergebnis mitzuteilen.
Niedergeschlagen entnahm Tritar den Worten des Greises, dass Tremish seine Forderung zum größten Teil durchgesetzt hatte. Er blieb zwischen den beiden Wachen stehen, die es nicht wagten, durch ihre Nachricht die Erklärung zu unterbrechen.
Ungerührt funkelten die Farbenspiele in den achteckigen, in das Felsgestein der Wand eingelassenen Augen. Tritar konnte nur schwer ihre Größe schätzen; manchmal hatte er den Eindruck, dass jedes Auge so groß wie ein Manneskopf war, aber dann verband sich ihr betörendes Funkeln zu einem einzigen Farbenspiel und in solchen Momenten hätten es hunderte oder gar tausende von einzelnen Facetten sein können, die alles im Ganglion erspähten.
Die Augen nahmen das Urteil hin. Sie hatten nichts daran auszusetzen; kaum einmal griffen sie ein, wenn der Besitz eines Quellherren neu verteilt wurde.
Doch dann, kaum dass Glaukol den Schiedsspruch verkündet und noch bevor die Wachen Gelegenheit gehabt hatten, den Tod Gotans zu melden, vollzog sich eine Wandlung im Farbenspiel der Augen. Ihr Leuchten erlosch; schnell breitete sich eine schwarze Mattigkeit auf den achteckigen Augen
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