0060 - Der Geisterfahrer
Horrorkreaturen war bei ihm geblieben. Seinen gehörnten Helm hatte Künzler verloren. Wir kreisten ihn ein. Er stand mit dem Rücken zum Burgbrunnen. Der Griff der Kurbelwinde stieß gegen seinen Rücken.
Gisela Malthus wartete hinter uns. Roxanes Augen waren vor Schrecken geweitet, sie gab keinen Laut von sich.
»Ha, John Sinclair!« rief Dietrich Künzler. »Mich wirst du nicht fassen! Ich stürze mich in den Burgbrunnen, und Roxane…«
Er trat zur Seite, das rothaarige Mädchen wollte er mit sich reißen. Wir sahen alle wieder tadellos. Der Blendeffekt der Flammenscheibe in Künzlers Handfläche funktionierte anscheinend nur einmal oder erst nach längerer Zeit wieder.
Ich hielt das Silberkreuz in der Linken und die Beretta in der Rechten. Mein Schuß krachte, als der Adept sich über die Brunnenumrandung werfen wollte.
Die Silberkugel traf ihn in die Seite, er brüllte auf.
Bernard Roget stürzte vor, ungeachtet des Dolchmessers. Die lange Klinge verwundete den kleinen Franzosen, doch er riß dem vom Hauch des Schwarzen Todes infizierten Burgverwalter das Mädchen aus den Händen.
Bernard Roget brachte Roxane in Sicherheit, die sich an ihn klammerte. Der Adept brüllte und fluchte. Ich wollte ihn mit weiteren Silberkugeln vernichten.
Aber Suko schrie: »Laß mich, John!«
Er sprang vor, sein Fußtritt fegte dem wankenden Künzler das Dolchmesser aus der Faust. Dann packte Suko den fetten Adepten hinten am Bund seines kurzen Lendenschurzes und am Genick und stemmte ihn über den Kopf empor.
Künzler heulte zu der immer matter werdenden Flammenscheibe hinauf. Auch das fahle Leuchten, der üble Geruch und die unheimlichen Geräusche ließen nach.
»Du willst zu deinem Herrn und Meister?« schrie Suko, der aus einigen Wunden blutete. »Nun gut, geh zu ihm!«
Suko sprach Englisch. Er hatte Künzlers Absicht erkannt, was nicht schwer war. Der Adept brüllte, und Suko warf ihn in den Burgbrunnen. Künzlers Geschrei gellte aus dem Schacht und wurde immer leiser.
Dann folgte ein lautes Platschen, und das Gebrüll brach jäh ab. Suko aber kurbelte an der Winde. Zwei, drei Minuten verstrichen, dann hatte er einen Zinkeimer oben. Quer über dem breiten Eimer lag ein Skelett. Mehr war von dem Adepten des Schwarzen Todes nicht mehr übrig.
Dietrich Künzler hatte es nicht geschafft, in einen hohen dämonischen Rang aufzusteigen. Für Asmodis war er ein Versager.
***
Die Flammenscheibe war erloschen. Schweigend und finster lag die Burg. Doch in den Tiefen der Erde, im Burgbrunnen, rumorte und grollte es, ähnlich wie bei einem Vulkan kurz vor dem Ausbruch.
»Wir verlassen die Burg lieber schnellstens«, sagte ich zu meinen Gefährten. »Hier passiert bestimmt noch etwas.«
Sie waren nur zu gern bereit. Kommissar Mallmann wollte Roxane von Felseneck, Gisela Malthus und Bernard Roget, der eine tiefe Schulterwunde hatte, in seinem Opel Manta mitnehmen. Der Schlüssel steckte. Jean Arnois und ich würden zu Suko auf den Sozius der schweren BMW steigen.
Das war zwar unbequem und gegen die Vorschrift, aber in diesem Fall wohl entschuldbar. Suko und ich trugen Bernard, der nicht mehr allein gehen konnte, zum Opel des Kommissars. Roxane hielt seine Hand.
»Bernard, mein Held«, seufzte sie.
Ich gönnte dem kleinen Franzosen die Freude, er war ein wackerer Kerl. In der Kapelle hatte er sich tapfer geschlagen und einen Ghoul mit Kreuz und Weihwasser zur Hölle geschickt.
Roxane informierte uns rasch, wie sie und Gisela in die Hand Dietrich Künzlers und seiner Horrorschar gefallen waren. Sie hatten Königstein erreicht und ein Hotelzimmer mieten wollen. Aber als sie vor dem Hotel hielten, traf ein Funkspruch ein.
Kommissar Mallmanns Stimme sagte, Jean und Bernard seien wieder aufgetaucht. Roxane und Gisela sollten sofort zur Burg kommen. Das war ein magischer Trick des Schwarzen Todes, mit dem ich eigentlich hätte rechnen müssen.
Roxane und Gisela hatten den Funkspruch bestätigt. Sie waren prompt darauf hereingefallen, hatten umgedreht und waren zur Burg zurückgekehrt. Als sie ausstiegen, stürzten der Adept und seine dämonische Horde aus dem Hinterhalt, überwältigten die Mädchen und verschleppten sie in die Kapelle.
Dort begann nach einigen Vorbereitungen die Schwarze Messe, deren Höhepunkt das Opfer Giselas und Roxanes sein sollte.
Die Mädchen froren jämmerlich, denn sie trugen noch immer nichts am Leib als die hauchdünnen Slips.
Mit unseren zerfetzten Jacken war nicht mehr viel anzufangen.
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