0061 - Der Hexenberg
Frage, wer der Herr dieses Palastes war, wer dieser geheimnisvolle ›Meister‹ war, erledigte sich damit von selbst. Zamorra hatte es schon die ganze Zeit über geahnt. Jetzt jedoch wusste er es ganz genau.
Der Dämon benutzte nicht die hier übliche Gedankensprache, sondern redete sie ganz normal an – in akzentfreiem Französisch.
»Sei gegrüßt, Meister des Übersinnlichen! Es ist uns eine hohe Ehre, dich in unserem Reich empfangen zu dürfen. Allerdings…«
Ein zynisches Lächeln erschien auf seinen allzu menschlichen Zügen.
»… allerdings muss ich gestehen, leicht enttäuscht zu sein. Für einen Menschen, der unserem Reich schon so viel Schaden zugefügt hat, bietest du einen recht kläglichen Anblick. Ein bisschen würdelos, deine Erscheinung! Würdest du mir da nicht zustimmen?«
Zamorra verzichtete auf eine Antwort. Er wollte dem Dämon nicht die Genugtuung geben, sich an seiner Ohnmacht zu weiden. Deshalb schwieg er und sah den Hinterlistigen nur stolz an. Ein Mensch – gebrochen am Körper, aber ungebrochen am Geist.
»Ah, du redest nicht mit mir«, sagte der Dämon. »Ich kann das gut verstehen, denn an deiner Stelle würde auch ich mich schämen.«
Dafür hatte Professor Zamorra nur ein geringschätziges Lächeln übrig.
Unberührt von der Missachtung, die ihm zuteil wurde, sprach Hamaroth weiter: »Ich bin aber sicher, dass sich deine Einstellung noch ändern wird. Jetzt vielleicht?«
Er machte eine kreisende Handbewegung. Ein heller Fleck entstand in der Mitte des Raumes. Milchige Nebel wallten, verflüchtigten sich zum Rande des Flecks hin. Der Fleck – Durchmesser etwa zwei Meter – gewann plastische Tiefe, erinnerte an ein Fenster, durch das man in einen anderen Raum hineinblicken konnte.
Der Raum war ein Boudoir, das aus einem vergangenen Jahrhundert zu stammen schien. Erlesen möbliert, schwelgender Luxus überall. Aber es war nicht das Interieur, das Zamorra und Bill sofort gefangen nahm.
Auf einem breiten Prunkbett lag eine junge Frau, nackt und schön.
Der Professor und sein Freund hielten den Atem unwillkürlich an.
»Nicole!«, entfuhr es Zamorra.
»Dachte ich es mir doch«, höhnte der Dämon. »Du bist also doch nicht stumm.«
Zamorra beachtete ihn nicht. Seine Augen hingen wie gebannt an der Mädchengestalt. Sie war der Grund, aus dem er und Bill sich in das Reich der Dämonen gewagt hatten. Und nun lag sie da – scheinbar ganz nahe und doch so weit entfernt.
Sie schien jetzt gemerkt zu haben, dass sie nicht mehr allein war: Wahrscheinlich hatte sich in ihrem Zimmer ebenfalls ein solches ›Fenster‹ gebildet, und sie konnte ihrerseits in das Verlies hineinsehen.
»Nicole!«, sagte Zamorra noch einmal, diesmal ganz laut und vernehmlich.
Das Mädchen hatte ihn gehört. Ein Lächeln, das ein bisschen unsicher wirkte, huschte über ihr Gesicht.
»Hallo!«, sagte sie. Mehr nicht!
Zamorra war erschüttert. Was hatten diese Teufel mit ihr gemacht? ›Hallo‹ , sonst nichts! Das war nicht die Nicole, die er kannte und… liebte. Hatte man sie bereits zu dieser entsetzlichen, unheiligen Hochzeit gezwungen, die Fabienne Duquesne hämisch in Aussicht gestellt hatte? Fast sah es so aus. Da war ein Ausdruck in ihren Augen …
»Oh, mein Gott!«, sagte er leise zu sich selbst.
Der Dämon hatte seine Worte mitbekommen.
»Nicht diese Töne, ja? Du scheinst nicht zu bedenken, wo du hier bist!«
Der Professor zerrte an seinen Fesseln, aber natürlich konnte er seine Lage dadurch nicht verbessern.
»Nicht so ungeduldig«, redete Hamaroth weiter. »Du wirst deine Freundin noch sehen, denn du wirst selbstverständlich zur Hochzeitsfeier eingeladen. Der Meister legt allergrößten Wert auf deinen Segen.«
Er wollte sich schier ausschütteln vor Lachen, aber das kümmerte den Professor gar nicht. Nur ein Gedanke beherrschte sein Denken: Die widerwärtige Vermählung mit dem Bösen hatte anscheinend noch nicht stattgefunden. Nicole musste also noch sie selbst sein.
Aber warum verhielt sie sich dann in einer Art und Weise, die ihrem Naturell so ganz und gar nicht entsprach?
Abermals versuchte er, mit ihr ins Gespräch zu kommen.
»Nicole…«, setzte er an.
Ihre Antwort entsetzte ihn.
»Lass mich in Ruhe«, musste er hören. »Ich will mit dir nichts mehr zu schaffen haben!«
Und um die Ernsthaftigkeit dieser Worte zu unterstreichen, drehte sie sich zur Seite und wandte dem Lichtfenster den Rücken zu.
»Deine Freundin scheint dich nicht mehr kennen zu wollen«, sagte
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