0061 - Der Hexenberg
oft rätselhaften Gesetzmäßigkeiten unterworfen.
Wider besseres Wissen zerrte er an seinen Ketten. Die metallenen Glieder klirrten, wenn sie gegeneinander stießen, lockerten sich aber keinen Millimeter.
Plötzlich hatte er aber doch das Gefühl, dass der Druck an seinen Arm- und Fußgelenken ein wenig nachließ.
Einbildung?
Er glaubte nicht so recht daran, dass ihm die erstarrten und furchtbar malträtierten Glieder nur einen Streich spielten.
Die Ketten saßen tatsächlich lockerer!
Er wollte gerade Bill von seiner Feststellung unterrichten, als ihm seine Nerven eine weitere Veränderung des augenblicklichen Zustandes meldeten.
Irgend etwas Unbegreifliches ging mit seinem Körper vor. Muskeln, Fleisch und Knochen wurden von wilden Schmerzwellen durchrast. Er hatte das Gefühl, von einer ungeheuren Kraft zusammengepresst zu werden, zu schrumpfen.
Alarmiert blickte er an seinem Körper hinunter. Was er sah, ließ ihn beinahe dem schreienden Wahnsinn anheimfallen.
Er schrumpfte tatsächlich!
Und nicht nur dies. Seine Haut veränderte sich ebenfalls, wurde grau wie die eines Nagetiers. Ruppiges Fell bildete sich. Und der Schrumpfungsprozess ging weiter.
Seine Arme und Füße waren jetzt aus den Eisenringen geschlüpft – ganz von selbst. Hart stürzte er zu Boden.
Die Perspektive änderte sich. Fast hatte er den Eindruck, als sei er plötzlich in eine zweidimensionale Welt versetzt worden. Den Begriff Höhe nahm er kaum noch wahr. Breite und Länge waren es, die sein Wahrnehmungsvermögen beherrschten.
Sein Blick irrte hinüber zu Bill.
Er schrie.
Aber der Schrei war nicht mehr der eines Menschen, hörte sich in seinen eigenen Ohren wie das an, was er war: Ein grelles Piepsen.
Bill Fleming war im Begriff, sich in eine kleine graue Maus zu verwandeln.
Und er selbst auch!
Mit letzter Kraft kämpfte er gegen die Wogen des Irrsinns an, die ihn zu überspülen drohten.
Er wurde – war jetzt – eine Maus!
Ein Gedanke hämmerte in seinem Hirn: Die Schlange frisst die Maus! Die Schlange frisst die Maus!
Die Schlange!
Er roch sie mehr, als er sie sah. Die Verwandlung in eine Maus hatte auch sein Wahrnehmungsvermögen auf eine andere Basis gestellt.
Das Reptil war unmittelbar vor ihm, reckte sich wie ein Berg vor ihm in schwindelnde Höhen, von denen er sich schon keine rechte Vorstellung mehr machen konnte. Eine grünliche Schleimlache zerplatzte neben ihm, besprühte ihn mit Tropfen, die sich sengend in sein Fell fraßen.
Gift?
Die Maus, die Zamorra hieß, lief los – zu der Stelle, von der sie wusste, dass dort ein Spalt in der Wand klaffte. Bergartige Hindernisse stellten sich ihr in den Weg – Unebenheiten des Bodens, aus der neuen Perspektive gesehen enorm vergrößert. Die Maus sprang darüber hinweg, erreichte die Wand.
Aber der Spalt war unerreichbar. Der riesige Körper der Schlange blockierte den Einstieg.
Eine neue grüne Giftlache quoll über den Stein.
Die Maus rannte erneut los, lief um ihr Leben.
Lautes, zischendes Lachen erfüllte den Raum.
***
Sie mussten mehrere Stunden warten, bis Fabienne Duquesne aus der Narkose erwachte, die Doktor Ducas ihr verabreicht hatte.
Als der Augenblick dann kam, war Nicole bereit. Sie drückte das Amulett genau auf die Stelle von Fabiennes Stirn, an der sich das Mal des Drudenfußes abzeichnete. Genauso musste es der Chef gemacht haben.
Die Gouvernante schlug die Augen auf und schrie augenblicklich heulend los.
»Weg! Tun Sie es weg!«
Anfänglich blieb Nicole hart wie Stahl. Dann aber gingen ihr die fortwährenden Schreie doch an die Nieren. Sie kam sich vor wie ein Folterknecht bei der Inquisition.
»Nehmen Sie es weg!«, tobte Duquesne mit verzerrtem. Gesicht.
»Ich mache alles, was Sie wollen!«
Maurice d’Aragnan, der ebenfalls im Zimmer seiner ehemaligen Geliebten anwesend war, machte eine abwehrende Handbewegung, als er die plötzliche Unentschlossenheit Nicoles bemerkte.
»Ich würde vorsichtig sein«, warnte er. »Ich war dabei, wie sie Zamorra und den Amerikaner mit dem gleichen Trick reinlegen wollte.«
»Nein, nein!«, schrie die Frau. »Diesmal werde ich nichts unternehmen. Ich schwöre es!«
Nicole glaubte ihr zwar nicht, aber sie konnte die sichtbare Qual der Hexe nicht länger mit ansehen. Sie zog ihre Hand mit dem Amulett zurück.
Das Mal des Drudenfußes hatte sich auf erschreckende Weise verstärkt.
»Ich warne dich, Dämonenbraut«, sagte Nicole drohend. »Beim geringsten Versuch, deine Höllenkünste zu
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