0063 - Der Hüter des Bösen
schon so einiges gesehen hatte, an seinem Verstand zu zweifeln begann. Er kam gar nicht dazu einzugreifen. Wie gebannt kauerte er hinter seinem Busch und blickte auf das unfassbare Geschehen, das sich da vor seinen Augen abspielte.
Die beiden Gestalten rangen miteinander. Aber es war kein normaler Ringkampf. Es war das Duell zweier Titanen, die aus einer anderen Wellt gekommen zu sein schienen. Nicht Hände und Fäuste drangen aufeinander ein, sondern Krallen, Klauen, Pranken und Tatzen. Ein Schlund, aus dem pfeilspitze Reißzähne hervorragten, ein horniger, riesiger Schnabel, gebogen wie eine Sense, belauerten sich, waren jederzeit bereit zu schlingen, zu reißen, zu zerfleischen.
Heisere, gutturale Laute, zischend, knurrend, krächzend, brüllend, schmerzerfüllt und triumphierend versinnbildlichten eine Sinfonie des Grauens.
Heißer Atem, begleitet vom Geruch des Todes, verwandelte die fallenden Regentropfen in kleine Dampfwölkchen. Am Rande der Lichtung stehende kleine Bäume wurden mit Urgewalt entwurzelt, wie Keulen geschwungen und krachten splitternd auf eisenharte Schädel und Glieder.
Die Erde bebte, wenn einer der massigen Körper auf sie stürzte.
Der Beton des Parkplatzes barst wie Holz.
Zamorra stockte der Atem. Kämpften hier Menschen – Jean Martin, mit dem er noch vor ein paar Stunden einen gemeinsamen Drink genommen hatte, und ein fremder Mann, der soeben in einem ganz normalen Auto auf der Bildfläche erschienen war?
Nein, das waren keine Menschen.
Der Professor tastete nach seiner Pistole. Sein Amulett wäre ihm zwar tausendmal lieber gewesen, aber für den Fall eines Falles wollte er wenigstens in etwa gerüstet sein. Mit normalen Körperkräften konnte er gegen keine der beiden Gestalten, die bar jeder Menschlichkeit waren, auch nur das Geringste ausrichten. Er befand sich in unmittelbarer Nähe des Kampfgetümmels. Wenn die Ungetüme auf ihn aufmerksam wurden…
In dieser Beziehung machte er sich unbegründete Gedanken. So schnell wie alles begonnen hatte, war es plötzlich auch zu Ende.
Eine der Gestalten stieß noch einen markerschütternden, unsagbar gequälten Schrei aus und lag dann ganz still.
Der Kampf war vorüber.
Und abermals glaubte Zamorra, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Dort, wo vor Sekunden noch zwei Ausgeburten einer krankhaften Phantasie ein mitleidloses Gemetzel veranstaltet hatten, stand ganz ruhig und gelassen Jean Martin. Und zu seinen Füßen, dicht neben einem entwurzelten jungen Baum, lag ein anderer ganz normal aussehender Mann. Der Professor konnte sein Gesicht ganz genau sehen und erkannte es von den Fotos Kommissars Laroche wieder.
Henry Montpellier!
Mit der schussbereiten Pistole im Anschlag verließ Zamorra seine Deckung und trat mit langsamen Schritten auf den Ort des Geschehens zu.
***
»Ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, einige Erklärungen abzugeben, Monsieur Martin. Meinen Sie nicht auch?«
Zamorra sah den jungen Mann, der noch vor wenigen Minuten einer urtümlichen Vogelbestie ähnlicher gesehen hatte als einem menschlichen Wesen, scharf und wachsam an. Er ging kein Risiko ein und hielt den Revolver nach wie vor in der Hand.
Martin, aus zahlreichen furchtbar aussehenden Wunden blutend, starrte ausdruckslos zurück. Die Schmerzen, die er verspüren musste, ignorierte er anscheinend völlig.
»Erklärungen?« Er zuckte die Achseln. »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht viel sagen. Stehe selbst vor einem ziemlichen Rätsel.«
Und in der Tat – wie er da so stand, offensichtlich verwirrt, unsicher seine Umgebung betrachtend, vermittelte er ganz und gar den Eindruck eines Menschen, der sich im Wald verlaufen hat und nun nicht mehr aus noch ein weiß.
Zamorra seufzte. »Schön, gehen wir der Reihe nach vor. Sie haben gewusst, dass Henry Montpellier hier vorbeikommen würde. Woher? Hatten Sie sich mit ihm verabredet?«
»Ich habe mich nicht mit ihm verabredet. Das letzte Mal habe ich ihn vor ungefähr drei Jahren gesehen.«
»Aber Sie haben doch ganz eindeutig hier auf ihn gewartet. Das wollen Sie doch wohl nicht bestreiten, oder?«
Martin nickte. »Ja, ich habe gewusst dass er hier vorbeikommen wird.«
»Und woher?«
Wieder zuckte der junge Mann mit den Achseln. »Das kann ich Ihnen nicht sagen«, meinte er mit einer Stimme, die durchaus ehrlich klang. »Mein Gefühl hat es mir gesagt. Ich war mir ganz sicher.«
»Aha!« Zamorra mußte diesen Satz erst einmal verdauen. »Und wie erklären Sie sich die Tatsache, dass Montpellier
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