0063 - Der Hüter des Bösen
»Nun mach aber mal einen Punkt, Chef. Ich weiß, dass dein Amulett im Château liegt. Ich meine das Ding, das du da jetzt am Hals hängen hast. Dadurch sind wir doch überhaupt erst auf dieses Thema gekommen.«
Erstaunt tastete Zamorra nach seinem Hals. Er fühlte ein Kettchen, verfolgte es mit den Fingerspitzen bis zur Brust. Tatsächlich, da war etwas! Noch ein Amulett? Er versuchte, es hochzuziehen, aber das Ding hakte wohl irgendwie, so dass er seine diesbezüglichen Bemühungen einstellte. »Und?«, fragte Nicole.
»Was und?«
»Was ist nun mit deinem Amulett?«
Der Professor zögerte. »Ja, ja, ich habe auch eins«, sagte er lahm.
»Ist wohl nicht so wichtig, oder?«
»Ich kann das nicht beurteilen«, antwortete Nicole. »Aber komisch finde ich es schon.«
»Was findest du komisch?«
»Dass du dich auf einmal nicht mehr an das Ding erinnern konntest. Sag mir, was hat es mit diesen Amuletten auf sich? Haben sie etwas mit dem Fall dieses Industriellen zu tun, wegen dem du nach Marseille gefahren bist? Wenn ich mir diese Scheußlichkeit hier so richtig ansehe…«
Mit diesen Worten nahm Nicole Jean Martins Amulett in die Hand, um es eingehender zu betrachten.
Zamorra sah, wie sie plötzlich erstarrte. Sie saß da, als habe sie einen Gehirnschlag erlitten.
»Ist was?«, fragte er die junge Frau. »Fühlst du dich nicht wohl?«
Nicole brauchte einige Sekunden, um zu antworten. »Doch, doch«, sagte sie ein bisschen heiser. »Eine leichte Übelkeit. Ist aber schon wieder vorbei.«
Während sie das sagte, öffnete sie die obersten Knöpfe ihrer himmelblauen Bluse, legte sich Martins Kettchen um den Hals und ließ den Anhänger zwischen ihre Brüste fallen.
»He!«, reklamierte Zamorra. »Das geht doch nicht! Ich brauche das Ding. Gib es wieder her!«
»Was soll ich dir wiedergeben?«, fragte Nicole.
»Das Amulett, was sonst?«
»Welches Amulett?«
Zamorra sagte: »Bis zu dem Zeitpunkt, an dem du es dir um den Hals gehängt hast, lag es hier auf dem Tisch.«
Mit allen Anzeichen höchsten Erstaunens blickte Nicole in ihren Ausschnitt. »Tatsächlich«, sagte sie. »Da ist es. Warte, ich gebe es dir wieder.«
Sie zog an dem Kettchen, aber sie schaffte es nicht, den Anhänger zum Vorschein zu bringen.
»Sitzt irgendwie fest«, meinte sie. »Ich gebe es dir nachher wieder. Wie sieht es denn aus, wenn ich mir hier im Restaurant die Bluse ausziehe.«
Zamorra gab sich fürs erste damit zufrieden. In diesem Augenblick trat auch der Kellner an ihren Tisch und servierte die Vorspeise. Wenig später folgte der Hammelrücken.
Wie immer im Louisdor war das Essen hervorragend. Selbst im Maxim speiste man nicht besser. Zamorra und Nicole mussten es wissen, denn sie waren beide Feinschmecker par excellence.
Sie sprachen nicht mehr weiter über die Amulettgeschichte. Statt dessen überraschte Nicole den Professor mit der Mitteilung, dass Bill Fleming für morgen seine Ankunft in Europa per Telegramm durchgegeben hatte.
»Er landet aber nicht in Paris, sondern in Brüssel«, verkündete sie.
»In Brüssel? Wieso denn das?«
»Bevor er zu uns kommt, will er sich in Belgien noch mit einem Historikerkollegen treffen.«
»Dann brauchen wir ihn also nicht vom Flughafen abzuholen?«
»Nein«, entgegnete Nicole. »Von Brüssel aus wird er den Zug nehmen. In zwei oder drei Tagen.«
Zamorra nickte nur. Irgendwie verspürte er keine rechte Lust, zu einer charmanten Tischunterhaltung. Nicole schien es nicht viel anders zu gehen.
Die beiden verzichteten sogar auf den obligatorischen Mokka nach dem Essen und verließen buchstäblich im Anschluss an den letzten Bissen das Restaurant.
Schweigend steuerte Nicole den Citroën zum Château.
***
Am anderen Morgen war Raffael, der alte Hausdiener, noch immer bettlägerig.
Nicole und Zamorra bereiteten das Frühstück gemeinsam zu. Nicole kümmerte sich um Eier und Schinken, während sich der Professor um den Tee bemühte.
Dann saßen sie sich am Frühstückstisch gegenüber.
»Der Tee ist lau«, stellte Nicole fest.
»Was ist er?«
»Lau!«, wiederholte die Frau. »Wenn ich eins hasse, dann ist es lauer Tee.«
Zamorra führte seine Tasse zum Mund. Nun ja, man konnte sich nicht gerade die Lippen daran verbrennen, aber er war doch heiß genug, um keinerlei Beschwerden heraufzubeschwören.
»Der Tee ist ausgezeichnet«, sagte er fest. »Ich weiß gar nicht, was du willst.«
»Ich will nicht viel«, antwortete Nicole. »Lediglich eine anständige Tasse Tee zum
Weitere Kostenlose Bücher