0068 - Die Geisternacht
zaubern? Wie ich sehe, glüht es schon. Hast du irgendeinen Trick auf Lager?«
Zamorra schüttelte den Kopf. »Das Amulett ist kein Allheilmittel«, sagte er. »Es vermag manches, aber nicht alles. Außerdem werden wir ja wohl imstande sein, ein so profanes Problem wie das Suchen eines Zugangs mit herkömmlichen Mitteln zu lösen. Mit Sicherheit gibt es irgendwo einen Kontakt, der nach Berührung ein Wandsegment zur Seite klappen lassen wird. Wir müssen nur suchen.«
Sie suchten. Zu dritt tasteten sie Wände und Fußboden ab, ließen dabei keine Handbreit aus.
Und sie hatten Erfolg.
Es war genauso, wie es Zamorra angekündigt hatte. Ganz plötzlich – wer den Kontakt ausgelöst hatte, ließ sich im Nachhinein nicht mehr feststellen – tat sich in einer der Wände eine spaltbreite Öffnung auf. Der Mechanismus funktionierte nicht auf der Basis herkömmlicher Scharniere. Ein Seilzug, in den Quader eingelassen, hatte das Öffnen der Wand bewirkt.
Alle drei hielten automatisch den Atem an. Jetzt kam eine kritische Phase. Durchaus möglich, dass sich die Menschenschlächter und ihre Opfer in dem benachbarten Raum befanden. Allzu weit konnten sie jedenfalls nicht weg sein.
Vorsichtig schlich der Professor zu dem Wandspalt hinüber. Die Öffnung war breit genug, um hindurchblicken zu können.
Der Professor tat dies – und war erstaunt. Das was er hier sah, hatte er nicht erwartet.
Licht stach ihm in die Augen, helles, gleißendes Sonnenlicht.
Aber nicht die Sonnenstrahlen waren es, die ihn an seinem Verstand zweifeln ließen.
Er konnte ins Tal hinunterblicken, dort wo in etwa fünf Kilometern Entfernung die Stadt Sacromonte liegen musste.
Sacromonte?
Das war nicht Sacromonte.
Zwar sah er Häuser und Türme und sonstige Bauwerke, aber es waren keine Gebäude, die aus der Gegenwart stammten.
Die Stadt unten im Tal war eine Stadt, die kein Recht mehr hatte, zu existieren.
Es war eine Stadt der Ureinwohner dieses Landes. Wie hatte Sacromonte doch früher geheißen? Zamorra erinnerte sich: Amecameca.
Dort unten lag Amecameca!
***
»Für mich gibt es nicht den, geringsten Zweifel«, erklärte der Professor wenig später den Freunden.
»Wir sind durch ein Loch in der Zeit gefallen. Das zwanzigste Jahrhundert ist weit, weit entfernt.«
Tiefes Schweigen folgte seinen Worten.
Bill und Nicole mussten diese Mitteilung erst einmal verdauen, und das brauchte einige Zeit.
Sie nahmen es letztlich ziemlich gefasst hin. Dies war nicht das erste Mal, dass sie in die Vergangenheit geraten waren. Sie alle erinnerten sich noch allzu gut an ihre Reise in die Zeit der Kreuzzüge.
Im Reiche des Kalifen hatten sie sich an die Spuren Leonardo de Montagnes geheftet, jenes Vorfahren Professor Zamorras, der das Amulett zuvor getragen hatte.
Nur mit allergrößter Mühe war es ihnen gelungen, ihre eigene Zeit wieder zu erreichen. [2]
Und nun war es abermals passiert.
Eine Reise in die Vergangenheit…
»Aber wie ist es möglich?«, fragte Bill kopfschüttelnd.
»Tezcatlipocas Jünger dürften dafür verantwortlich sein«, antwortete Zamorra.
»Wir sind bisher von falschen Voraussetzungen ausgegangen, als wir annahmen, dass die Schlächter bloße Imitatoren ihrer Vorfahren sind. Die Diener des Schrecklichen sind echt! Es sind Azteken oder Chalca. Sie stammen aus diesem Jahrhundert hier, in das wir geraten sind. Irgendwie, mit Hilfe ihrer magischen Kräfte, haben sie es geschafft, einen Weg zu finden, auf dem sie nach Belieben von einem Jahrhundert ins andere wandern können. Dies ist der wahre Grund, dass sie immer wieder spurlos verschwinden konnten. Sie sind ganz einfach in ihre eigene Zeit zurückgekehrt.«
»Und wo ist dieser Weg? Wir haben vorhin diesen ganzen Raum hier abgesucht. Haben wir vielleicht einen Weg zurück in unsere eigene Zeit gefunden?«
Der Professor zuckte die Achseln. »Ich weiß auch nicht«, antwortete er. »Durchaus möglich, dass das Tor in unsere Dimension nur zu bestimmten Zeiten geöffnet ist. Wir haben Glück gehabt und sind durchgekommen. Oder auch Unglück – ganz wie man es nehmen will.«
»Und was machen wir jetzt?« Nicole versuchte, die beiden Männer wieder von der Theorie zur Praxis zurückzuführen.
»Eine gute Frage«, sagte der Professor nachdenklich. »Hier bleiben und darauf warten, dass sich das Tor in unsere Zeit vielleicht wieder von selbst öffnet, können wir nicht. Es ist jederzeit möglich, dass einer oder mehrere Jünger auftauchen. Was sie dann mit uns machen,
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