0069 - Das Gericht der Toten
aber keineswegs asketisch wirkenden Gesicht. Die sinnlichen Lippen und die kleinen Tränensäcke unter den Augen verrieten, daß er durchaus zu leben verstand.
Der Guru saß an einem Ecktisch, ein Glas mit einer undefinierbaren Flüssigkeit vor sich.
Zamorra drückte dem Boy eine Fünfzig-Cent-Münze in die Hand und schickte ihn zurück in die Halle. Dann gingen er und Nicole zu dem Mann aus Indien hinüber.
Der erhob sich, als sie vor ihm standen und deutete eine leichte Verbeugung an. Eine offizielle Bekanntmachung erübrigte sich. Die beiden Männer wußten, wen sie vor sich hatten.
Zamorra stellte lediglich seine Sekretärin vor.
Sie setzten sich. Als ein dienstbeflissener Kellner an den Tisch kam, bestellte Zamorra für sich einen Mokka, während Nicole einen Pernod wünschte. Bis die Bestellungen gebracht wurden, sagte keiner ein Wort. Der Professor konzentrierte sich auf sein Amulett. Es brannte ganz leicht auf seiner Haut. Daraus konnte er schließen, daß der Guru nicht von einem bösen Geist oder einem Dämon besessen war, wohl aber irgendein magisches Utensil bei sich hatte.
Vorsicht war geboten, denn wenn er sein Gegenüber richtig einschätzte, war der zu allem möglichen fähig.
Zamorra unterbrach das Schweigen schließlich.
»Sie wissen, warum ich mit Ihnen sprechen möchte. Madhvakrishna.«
Der Guru nickte. »Am Telefon sprachen Sie von einem Erfahrungsaustausch. Es ist mir eine hohe Ehre, mit einem so berühmten Mann wie Ihnen über die jenseitige Welt plaudern zu dürfen. Besonders interessieren würde mich beispielsweise ihre Theorie über den Osterhasen. Ist er von Magie beseelt? Ist er es nicht?«
Der blanke Hohn blitzte in den nachtdunkeln Augen des Inders auf, während sein Gesicht völlig ausdruckslos blieb.
Zamorra war ein Mann, der sich beherrschen konnte. In keiner Weise ließ er sich anmerken, daß er sich ärgerte. Aber er verspürte auch keine Lust, sich von dem Kerl an der Nase herumführen zu lassen. Deshalb kam er sofort zum Thema.
»Schenken wir uns die Spiegelfechtereien. Madhvakrishna. Im Grunde genommen will ich von Ihnen nur eins wissen: Stehen Sie mit dem Kaa des Pharao Neferptah in Verbindung? Wenn ja – wissen Sie, auf was Sie sich damit einlassen?«
»Neferptah? Kaa? Zamorra, Sie wollen mir doch nicht etwa einreden, daß Sie das Geschwätz dieses verrückten Ölmillionärs ernst nehmen?«
So war das also. Der Guru zog es vor, sich dumm zu stellen. Und das konnte letzten Endes nur bedeuten, daß er in keiner Weise bereit war, seine Karten aufzudecken. Vermutlich deshalb nicht, weil er tatsächlich falsch spielte.
Zamorra beugte sich ein Stückchen vor, blickte dem Inder scharf in die Augen.
»Ich warne Sie, Madhvakrishna. Kommen Sie sich nicht zu großartig vor. Sie mögen einige höllische Tricks auf Lager haben, aber ich kann Ihnen garantieren, daß ich schon mit ganz anderen fertig geworden bin.«
Der steinerne Gesichtsausdruck des Guru veränderte sich nicht.
»Wirklich?« fragte er spöttisch. »Dann zeigen Sie doch mal, was Sie können.«
Der Professor sah jetzt ganz klar. Der Bursche wollte ihn herausfordern, wollte ihn zu einer unbedachten Handlung verleiten. Die Vereinigten Staaten von Amerika waren ein Rechtsstaat. Im Sinne des Gesetzes konnte er dem Guru nicht das geringste anhängen.
Wenn er also jetzt gewalttätig gegen den Mann wurde, hatte dieser das Recht auf seiner Seite. Deshalb hatte er als Besprechungsort wohl auch die allen zugängliche Hotelbar gewählt. Der Kellner, der Mixer und die drei Gäste, die außerdem noch anwesend waren, würden hervorragende Zeugen abgeben. Aber diesen Gefallen würde ihm der Professor nicht tun.
Madhvakrishna griff in seinen blütenweißen Umhang und holte ein Zigarettenpäckchen hervor. Er riß es auf und hielt es Nicole und Zamorra hin.
»Zigarette gefällig?«
Obwohl es sich um eine herkömmliche Chesterfield-Packung handelte, dachte Nicole und Zamorra nicht im Traum daran, sich zu bedienen. Dem Inder war durchaus zuzutrauen, daß er präparierte Zigaretten in die Packung gesteckt hatte.
Der Guru zog seinen Arm zurück, kam dabei aber mit dem Ellenbogen an sein Glas, so daß dieses beinahe umgekippt wäre, wenn er nicht reaktionsschnell mit der anderen Hand zugepackt hätte. So gab es keine Scherben, sondern nur eine Getränkepfütze, die sich rot auf dem Tisch ausbreitete. Tomatensaft anscheinend.
»Entschuldigung«, murmelte Madhvakrishna. »Habe ich Sie bespritzt?«
Zamorra verneinte.
»Dann
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