0071 - Knochensaat
seidenes Tuch spannte er sich über das Land. Wir hatten wirklich einen schönen Tag erwischt.
Wir passierten Dörfer, in denen die Straßen eng und winklig waren und Will Mallmann nur noch im zweiten Gang fahren konnte. Ich sah kleine Pensionen, nette Gasthäuser und auch Ferien-Bungalows. Zahlreiche Familien machten hier Urlaub, da der Bayerische Wald – so erzählte mir Will – noch preiswert war. Gegen siebzehn Uhr erreichten wir Waldeck. Ich hatte einen verschlafenen Ort erwartet, sah mich jedoch getäuscht. Schon bei der Einfahrt fiel mir die Hektik auf, die sich breitgemacht hatte.
Auch Will Mallmann wunderte sich. »Da ist doch irgend etwas schiefgelaufen«, sagte er.
So schnell wie möglich fuhren wir zu dem Gasthaus, in dem auch ich Quartier finden sollte.
Der Kommissar fand mit Not auf dem überfüllten Parkplatz eine Lücke für seinen Opel Manta. Wir stiegen aus.
Vor dem Haus waren sämtliche Stühle besetzt. Aber nicht von Einheimischen oder Urlaubern, sondern Reportern. Ich kannte die Knaben. Sie sahen in jedem Teil der Welt irgendwie gleich aus. Das lässige Gehabe, die Kameras, die großen Klappen.
Will Mallmann blieb stehen. »Das hat uns gerade noch gefehlt«, sagte er. »Irgend jemand hat da seinen Mund nicht halten können. Klar, daß die Pressefritzen kommen, wo Sauregurkenzeit ist.«
Wir waren in der Deckung eines Baums stehengeblieben. Der Wirt hatte noch Personal eingestellt, denn die Mädchen, die bedienten, kannte Mallmann nicht. »Gibt es hier keinen Seiteneingang?« fragte ich.
»Natürlich«, erwiderte Will. »Komm…«
Wir betraten das Haus. An der Treppe lief uns der Wirt über den Weg. Josef Mayr hatte ein hochrotes Gesicht und schwitzte. Man sah ihm an, daß das Geschäft lief.
Der Kommissar wollte eine Erklärung haben, doch der Wirt hatte plötzlich keine Zeit. Seine Frau wies mir das Zimmer zu und drückte mir auch den Schlüssel in die Hand.
Will meinte: »Ich werde das Gefühl nicht los, daß der Wirt die Reporter verständigt hat.«
Wir standen auf dem Flur, berieten die nächsten Schritte.
»Was hast du vor, John?« fragte Will Mallmann.
»Ich möchte zuerst das Beinhaus sehen.«
»Habe ich mir gedacht. Wahrscheinlich wird Pfarrer Kroger schon warten.«
Ich warf einen Blick auf die Uhr und sagte: »In einer halben Stunde – okay?«
Will war einverstanden.
Ich betrat mein Zimmer und wunderte mich, wie gemütlich es eingerichtet war.
Das Bett mit den hohen Kissen lud direkt zum Schlafen ein. Aber Schlaf würde ich wohl in der nächsten Zeit kaum finden können.
***
Das Unheil schlug von einer Sekunde zur anderen und mit der urwüchsigen Gewalt eines Blitzes zu. Es traf mich ebenso unvorbereitet wie auch die anderen. Ich wollte mich gerade ausziehen, um unter die Dusche zu steigen, als das Haus plötzlich von einem berstenden Krachen erfüllt wurde und ich quer durch das Zimmer flog. Es ist wie bei einer Vollbremsung der Straßenbahn, auf die man nicht vorbereitet ist. Ich wußte auf einmal nicht mehr, wo oben und unten war, und schlug mit dem Kopf gegen die Bettkante.
Plötzlich hörte ich alle Engel singen, und für Sekunden verschwand mein Bewußtsein. Dann war ich wieder voll da.
Etwas dröhnte wuchtig von außen gegen meine Tür.
Gleichzeitig hörte ich die Schreie, das Fenster wurde aus der Fassung gerissen, und die Splitter regneten ins Zimmer.
Ich brachte mich durch einen raschen Sprung zur Seite vor dem gläsernen Regen in Sicherheit und wollte schon in Richtung Tür laufen, als der Schrank kippte.
Langsam fiel er mir entgegen.
Rasch riß ich die Arme hoch und stützte ihn ab, drückte ihn wieder gegen die Wand.
Er blieb stehen.
Mein Blick traf das jetzt zerstörte Fenster. Ich schaute hinaus auf die Berge, sah den Himmel und erschrak.
Ein gewaltiges rotes Leuchten, gleich einer riesigen Wolke, hatte das Firmament überzogen.
Und die Wolke kam näher. Dabei nahm das Leuchten zu. Es wurde intensiver, und ich spürte plötzlich fremde Gedanken, die in mein Gehirn drangen.
Alles war anders.
Ich wollte gehen, aber meine Beine gehorchten mir nicht mehr. Ich wollte die Arme heben, doch die Gelenke schienen mit Blei ausgefüllt zu sein.
Ich fiel.
Ich lehnte mich dagegen auf, doch ich konnte nichts machen. Zum Glück stand das Bett so, daß ich direkt darauf liegenblieb. Mein Gesicht verschwand in den Kissen.
Eine seltsame Müdigkeit griff auf meinen Körper über.
Dann waren die Stimmen wieder da.
Sie wollten mir den Schlaf regelrecht
Weitere Kostenlose Bücher