0071 - Knochensaat
rote Lebenssaft wenigstens nicht in die Augen.
Der Pfarrer merkte, daß es mir nicht gerade besonders ging. »Kommen Sie mit«, sagte er, »ich gebe Ihnen etwas gegen die Schmerzen.«
»Nein, ich muß…«
»Wollen Sie etwa in Ihrem Zustand diese Knochenmänner verfolgen?« Da hatte er recht.
Pfarrer Kroger und ich verließen das Gewölbe. An der Tür warf der Geistliche noch einen letzten Blick zurück. Auch ich schaute zu der Knochenrutsche hin. Von den Gebeinen war kaum mehr etwas zu sehen. Nur noch vereinzelt lagen einige Knochen herum. Und die waren zum Teil angesengt, als sie die Kraft des Kreuzes zu spüren bekamen. Wir gingen.
Auf der Treppe nach oben mußte der Pfarrer mich stützen, sonst hätte ich es wohl nicht geschafft. So elend war mir.
Die Skelette hatten das Gewölbe nicht durch die Kirche verlassen, sondern waren die Rutsche hochgeklettert. Sie hatten es wohl nicht gewagt, an den christlichen Symbolen vorbeizugehen, und deshalb einen anderen Weg genommen. Wir verließen die Kirche.
Noch immer lag das rote Leuchten über dem Dorf, aber meiner Meinung nach hatte es sich etwas abgeschwächt oder war in östliche Richtung weitergewandert. Auf die tschechische Grenze zu. Wenn das stimmte, konnte es heiter werden… Wir betraten das Pfarrhaus. Der Geistliche führte mich in sein Arbeitszimmer, wo ich mich in einen Lehnstuhl setzte. »Warten Sie hier«, sagte Pfarrer Kroger. Er verschwand aus meinem Blickfeld.
Der verdammte Schlag hatte mich geschafft. Noch immer bissen die Schmerzen in meinem Kopf. Sie stachen wie glühende Pfeile in die Schädeldecke und behinderten mein Denken.
Zwei Minuten später kehrte der Pfarrer zurück. Er hielt ein Glas in der Hand. Zur Hälfte war es mit Wasser gefallt. Auf dem Boden lagen noch die Reste einer Tablette, von der kleine Perlen der Oberfläche entgegensprudelten.
»Hier, trinken Sie, Herr Sinclair«, sagte der Pfarrer, »dann wird es Ihnen gleich besser gehen.«
Dankbar nahm ich das Glas entgegen. In drei Schlucken trank ich das Wasser mit dem leicht bitteren Nachgeschmack und stellte das Glas auf einem kleinen Tisch ab. Pfarrer Kroger hatte auch noch etwas anderes mitgebracht. Mit einem feuchten Tuch wischte er mir das Blut von der Schläfe.
»Soll ich Jod auf die Wunde träufeln?«
»Nein, nein, danke.«
»Aber ein Pflaster können Sie vertragen.« Der Pfarrer klebte mir das Pflaster fachgerecht auf die Stirn.
Ich lächelte verzerrt. »Haben Sie Übung darin?«
»Ja, im Krieg habe ich außer als Seelsorger auch mal als Sanitäter gearbeitet.«
Die Tabletten begannen schon zu wirken. Er mußte mir wirklich ein starkes Zeug gegeben haben. Das bohrende Hämmern ließ nach, ich konnte wieder klar denken.
Der Geistliche hatte neben mir Platz genommen. Er gönnte sich einen Selbstgebrannten.
»Das mußte sein«, sagte er.
Ich nickte.
»Und nun, Herr Sinclair?« fragte der Pfarrer, als er das Glas abgesetzt hatte. »Was machen wir jetzt?«
»Wieso wir?«
»Glauben Sie denn, ich lasse Sie im Stich? Ich werde mit Ihnen kämpfen. Seite an Seite. Das Böse muß ausgemerzt werden. Nur so kann unser Herr siegen.«
Ich bewunderte den Geistlichen. Er war sicherlich schon sechzig Jahre alt, aber er hatte den ungebrochenen Mut eines Jünglings.
Dieser Mann stand wirklich mit beiden Beinen im Leben. Er trat den Gefahren mutig entgegen und wollte Leben retten.
Diese Einstellung fand man nicht oft in unserer Welt, in der alle nur nach materiellem Reichtum strebten.
»Haben Sie für mich auch eine Waffe?«
Ich dachte an die Ersatz-Beretta. »Wollen Sie wirklich eine Pistole nehmen?«
Der Geistliche schaute mich ernst an. »Ja, Herr Sinclair, ich nehme sie. Dieses fordert das Gebot der Stunde. Wenn wir anders nicht gegen sie ankämpfen können, dann eben damit. Und mit dem Kreuz!« fügte er noch hinzu.
Ich zog meine Ersatz-Beretta und schob sie ihm über den Tisch. »Bitte.«
Pfarrer Kroger nahm sie entgegen. Wie er das machte, ließ darauf schließen, daß er nicht zum erstenmal eine Pistole in der Hand hielt.
»Sie ist mit geweihten Silberkugeln geladen«, erklärte ich.
»Und diese Geschosse sind für die Skelette tödlich, da sie in der Dämonenhierarchie zur niedrigen Rangordnung zählen.«
Der Geistliche lächelte. »Wie Sie das alles so sagen…«
»Leider entspricht es den Tatsachen.«
»Und wie geht es Ihnen?«
»Danke, die Tabletten haben geholfen!«
Der Pfarrer lächelte und stand auf. »Das freut mich.« Dann schaute er auf die Uhr.
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