0071 - Knochensaat
fest.
»Moment noch, Hochwürden, ich möchte doch lieber allein gehen. Es kann gefährlich werden.«
»Mich schützt die Macht des Herrn.«
Ich erwiderte nichts, sondern holte den Schlüssel zum Beinhaus hervor. »Den hat mir der Kommissar gegeben«, erklärte ich.
Der Pfarrer führte mich nach draußen. Er und auch ich konnten frei atmen, das Grauen tat uns nichts. Der Geistliche blickte sich zwar sichernd um – er steckte noch voller Mißtrauen – und umklammerte sein Kreuz mit beiden Händen. Während er neben mir herschritt, murmelten seine Lippen Gebete.
Wir gingen an der Vorderseite der Kirche entlang. Das rote Licht umstrahlte uns. Ich spürte wieder, daß sich mein Kreuz leicht erwärmt hatte. Jetzt – hier draußen – wo mich die geballte Macht des Bösen traf, aktivierte es seine Kräfte. Der Pfarrer schaute sich immer wieder sichernd um. Er hatte Angst, es war verständlich. In seinem Leben war bisher für Geister und Dämonen kein Platz gewesen. Er glaubte wohl an die Hölle, aber das im biblischen Sinn. Doch lebende Skelette?
Für Pfarrer Kroger mußte eine Welt zusammengebrochen sein. Als wir vor dem Seiteneingang standen, warnte ich ihn noch einmal: »Sie können wieder zurückgehen, Hochwürden.«
Stumm schüttelte er den Kopf. Rechts sah ich den Friedhof, von dem Kommissar Mallmann erzählt hatte. Eigentlich hatte ich ihn mir ansehen wollen, doch jetzt drängte die Zeit.
Der Pfarrer öffnete die Tür, und wir betraten die Kirche. Ich ging den gleichen Weg wie zuvor Kommissar Mallmann, sah die unruhigen Kerzenflammen, ihr flackerndes Licht, das eine gespenstische Atmosphäre zauberte.
Auch ich war nervös. Das Wissen um die lebenden Skelette machte mich unruhig.
Ich erkannte in dem roten Licht ein Zeichen, das allein für sie galt.
War es ein Startsignal?
Wir schritten die Treppenstufen hinunter.
Hinter mir betete der Pfarrer noch immer.
Ich hatte mein Jackett aufgeknöpft, um im Notfall schneller an die Waffe zu gelangen.
Dann standen wir vor der Tür, hinter der das Beinhaus lag.
Ich hielt den Schlüssel bereits in der Hand, warf dem Pfarrer noch einen Blick zu.
»Gott beschütze uns«, murmelte der Geistliche.
Ich ging in die Knie, führte den Schlüssel ins Schloß und drehte ihn herum.
Die Tür war offen.
Mit dem rechten Fuß stieß ich sie nach innen.
Nichts geschah.
Aber es hatte sich etwas verändert. Auch das Beinhaus war von einer roten Lichtfülle erleuchtet. Sie drang aus den Wänden, überwarf den Knochenberg mit ihrem Schein, und meinen Augen bot sich ein makabres Bild.
Vorsichtig betrat ich das Gewölbe.
Pfarrer Kroger verharrte hinter mir auf der Türschwelle. Er traute sich nicht weiter.
Ich aber blieb direkt vor dem Knochenberg stehen.
Es war still.
Und deshalb hörte ich das feine Singen, das monoton den Raum erfüllte.
Wo kam es her?
Ich konzentrierte mich auf die Quelle und stellte fest, daß dieses Geräusch aus dem Knochenberg drang. Ja, die Gebeine sangen. Sie wurden unruhig.
»Was ist das?« flüsterte der Pfarrer hinter mir. Auch er hatte das Geräusch vernommen.
Ich gab keine Antwort, denn plötzlich klang die grollende Stimme auf. Sie wirkte auf mich wie aus den Boxen einer Stereoanlage kommend, drang von allen Seiten auf mich ein, und jedes einzige Wort traf mich wie ein Donnerschlag. »Verfluchter! Wahnsinniger!« hörte ich das haßerfüllte Organ. »Wie kannst du es wagen, als Unwürdiger in der Zeit der roten Wolke dieses Gewölbe zu betreten? Warum bist du gekommen? Warum liegst du nicht bei den anderen?«
Ich antwortete auf seine Fragen nicht, sondern stellte selbst eine Frage. »Wer bist du, der da zu mir spricht?« Lachen.
Schaurig und hohl.
Mir rann eine kalte Gänsehaut über den Rücken. Der Knochenberg geriet in Bewegung. Die Gebeine klapperten gegeneinander.
Auf mich wirkte es wie ein Beifall aus der Hölle. »Ich werde dir sagen, wer ich bin«, sagte die Stimme, nachdem das Gelächter verklungen war. »Ich bin Albertus Krogmann, Magister und Großinquisitor, und meine Wanderung hat ein Ende gefunden. Die Zeit der Rückkehr ist gekommen. Mein ist die Rache. Sie haben mich nicht verlassen.«
»Wer sind sie?«
»Diese Antwort, Menschenwurm, wirst du vielleicht niemals erhalten, denn dein Tod ist eine beschlossene Sache.«
»Was ist mit den Menschen im Dorf geschehen?« fragte ich. »Warum sind sie in diesen Schlaf gefallen?«
»Der dämonische Tiefschlaf mußte sein, damit ich sie wehrlos mitnehmen kann.«
»Und
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