0071 - Panik in der Geisterhöhle
sich über den Tresen. Er hatte sich die Stelle gemerkt, an der Nirakis Stunden zuvor seine Pistole deponiert hatte. Hoffentlich war es dem Kerl zwischenzeitlich nicht eingefallen, die Waffe irgendwo anders hinzulegen.
Glück mußte der Mensch haben. Zamorra sah die Waffe sofort. Sehen und danach greifen waren eins. Bevor der Wirt oder die anderen Einheimischen überhaupt gemerkt hatten, was vorging, stand er wieder vor dem Tresen, die blitzschnell entsicherte Waffe auf Nirakis richtend.
Jenseits des Tresens, direkt neben der Privattür, hing ein breiter Spiegel an der Wand. Mit dessen Hilfe konnte er den größten Teil des Gastraums überblicken. Einige der Dorfbewohner machten jetzt Anstalten, sich von ihren Schemeln zu erheben.
»Nirakis!« sagte der Professor laut. »Sagen Sie Ihren Sippengenossen, daß sie schön brav sitzen bleiben und keine Dummheiten machen sollen. Wenn Sie nicht hören, sind Sie ein toter Mann. Habe ich mich verständlich genug ausgedrückt?«
Alle hatten ihn verstanden. Nirakis brauchte gar nichts zu sagen.
Im Spiegel erkannte der Professor, daß die Männer seinem Befehl gehorchten.
Sicherheitshalber sagte er noch zu Emwalomas: »Alexis, Sie passen noch ein bißchen mit auf, daß niemand etwas unternimmt, ja?«
»Sie können sich auf mich verlassen, Monsieur Zamorra«, versprach der Kreter.
Zamorra wandte sich jetzt wieder ausschließlich dem Wirt zu.
»So, Nirakis, zurück zu uns. Zum letztenmal: Wo ist Nicole Duval? Wenn Sie jetzt nicht sofort die Wahrheit sagen, sagen Sie bald überhaupt nichts mehr!«
Nirakis tat etwas Ungewöhnliches. Er hatte die Augen geschlossen. Lautlos bewegten sich seine Lippen.
Was tat der Mann da? Betete er etwa?
Der Professor dachte schnell. Tilos stand im Banne von Dämonenwesen. Und die Dorfbewohner waren auf irgendeine Weise mit den Mächten des Bösen im Bunde. Es gehörte also nicht viel Phantasie dazu, darauf zu kommen, was Nirakis im Schilde führte.
Ganz offensichtlich erflehte er Hilfe.
Von wem?
Die Frage beantwortete sich viel schneller, als dem Professor lieb war. Er kam nicht mehr dazu, den Wirt zu stören.
Von einer Sekunde zur anderen stand sie im Raum. Gekommen aus dem Nichts. Deutlich sah er sie im Spiegel.
Eine Frau.
Eine schöne Frau war es. Nur eins störte an ihr: Das Haar. Es bestand aus einem Nest sich schleimig windender Schlangen.
Medusa war gekommen!
***
Nicole hatte erwartet, sich in absoluter Dunkelheit wiederzufinden.
Dem war aber nicht so. Schwaches, geisterhaftes Licht, das von überallher zu kommen schien, tauchte ihre Umgebung in ein unheimlich wirkendes Halbdunkel.
Ihre Augen hatten sich schnell an die Lichtverhältnisse gewöhnt.
Sie konnte anfangen, sich über ihren neuen Aufenthaltsort zu orientieren.
Offensichtlich befand sie sich am Ausgangspunkt einer ausgedehnten Höhlenlandschaft. Aber die Höhle machte nicht den Eindruck, als sei sie in dieser Form auf natürliche Art und Weise entstanden. Die Felsenwände, samt und sonders mit einem rötlichen Schimmer überzogen, waren ebenmäßig glatt. Auch der Boden zu ihren Füßen und die hohe Decke über ihr schienen mit unerhörter Sorgfalt bearbeitet worden zu sein. Von dem Raum, in dem sie stand, gingen zahlreiche Gänge in alle Richtungen ab. Sinn und Zweck der ganzen Anlage blieb ihr verborgen.
Ein eigentümlicher Geruch lag in der Luft, der sie fatal an eine Abdeckerei erinnerte. Aas roch so.
Sie spürte ein Würgen in der Kehle.
Dieses wurde nicht allein durch den widerwärtigen Gestank verursacht. Auch die Angst trug ein gut Teil mit dazu bei.
Dieser Ort war wie eine riesige Grabkammer. Kalt, lebensfeindlich, totenstill.
Totenstill? Nein, das stimmte nicht.
Nicole hörte auf einmal Geräusche. Schritte! Stampfende Schritte, die dumpf von den Felsenwänden widerhallten.
Die Schritte kamen näher. Aus irgendeinem der Gänge, wenn sie auch nicht sagen konnte, aus welchem.
Ihre Angst steigerte sich. Diese beharrlich näherkommenden Schritte, die sich wie Elefantentritte anhörten, erfüllten sie mit einer kaum noch zu steigernden Unruhe.
Flucht! schrie es in ihr. Raus hier aus diesem Raum, der ihr immer mehr wie eine Falle vorkam.
Aber wohin?
Sie hatte die Qual der Wahl. Zehn, zwölf Fluchtwege standen ihr offen. Wohin diese Wege jedoch führen würden, konnte sie nicht einmal vermuten.
Wie dem auch war – sämtliche Gänge führten weg von diesem Ort, an dem sie sich jetzt aufhielt, weg von dem Ort, dem sich dieses Geschöpf näherte,
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