0072 - Das Höllentor
faßte sich als erste. Sie merkte, daß der Anführer der angeblichen Fischer noch ganz unter dem Bann des eben Erlebten stand und nicht auf sie achtete.
Mit einem Hechtsprung warf sie sich auf ihn und riß ihm das Gewehr aus den Händen. Ein Schuß löste sich. Die Kugel fuhr in den Schnee, ohne Schaden anzurichten.
Angel trat und schlug nach Jane, aber sie wand ihm mit einer geschickten Bewegung das Gewehr aus der Hand.
Er warf sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie und riß sie zu Boden. Seine Hände legten sich wie eiserne Klammern um ihren Hals.
Jane bekam keine Luft mehr. Vor ihren Augen tanzten rote Funken und schwarze Schleier. In ihren Ohren dröhnte das Blut.
Wollte er sie auf der Stelle umbringen?
Sie schlug nach dem Hals des Anführers. Sein Körper streckte sich. Seine Finger glitten von ihrer Kehle.
Keuchend und gierig nach Luft schnappend, wälzte sich Jane unter ihm hervor und erstarrte.
Dicht vor ihrem Gesicht sah sie zwei Gewehrläufe.
»Endstation, Miß Collins«, sagte einer der Männer hart. »Keine Bewegung oder ich drücke ab!«
Seufzend ließ sich Jane in den Schnee sinken. Sie hatte verloren.
***
Um sieben Uhr waren wir auf den Beinen. Unser Frühstück bestand aus einer Tasse Tee. Dann machten wir uns an die Beschaffung unserer Ausrüstung.
Lieutenant Bengtson ließ sich nicht blicken, und das war mir nur recht. Er hatte uns bisher nur mit Mißtrauen beobachtet, uns aber nicht wirklich geholfen.
Am späten Vormittag verließen wir Reykjavik. Auf einer genauen Landkarte hatten wir das Gebiet des Höllentors eingezeichnet. Es handelte sich dabei um ein ganzes Planquadrat, so daß wir nicht genau wußten, wo wir nach Jane und ihren Entführern suchen sollten. Die ununterbrochene Winternacht erschwerte unsere Arbeit zusätzlich.
Wenn ich ehrlich mit mir selbst war, so mußte ich eingestehen, daß wir nur sehr geringe Chancen hatten. Noch dazu setzte Schneegestöber ein, als wir uns dem fraglichen Gebiet bis auf ungefähr zwanzig Meilen genähert hatten.
»Wir müssen jetzt von der Straße runter«, sagte Suko, der die Karte auf den Knien liegen hatte und sie im Schein einer Taschenlampe studierte. »Paß bloß auf, daß wir nicht in der ersten Schneewehe steckenbleiben.«
»Du hast gut reden!« Ich nahm den Fuß vom Gaspedal des Geländewagens und hielt Ausschau. Das Licht der aufgeblendeten Scheinwerfer wurde von Schneewolken verschluckt, die der Wind über das offene Land trieb. »Woher soll ich wissen, wo uns die Schneedecke trägt und wo nicht? Aber ich habe eine Idee!« Ich grinste meinem Freund zu. »Du steigst aus und gehst voran. Wenn du plötzlich weg bist, weiß ich, daß es dort ein Schneeloch gibt.«
»Witzbold«, knurrte Suko.
Es war uns beiden nicht gerade heiter zumute. Wir wußten, daß sich Jane noch immer in den Händen ihrer Entführer befand, und vorläufig konnten wir nichts zu ihrer Rettung tun. Wir wollten durch solche Scherze nur unsere innere Anspannung und Verkrampfung überspielen.
Ich fuhr nur mehr im Schrittempo. Schneeflocken tanzten in den Scheinwerferkegeln. Nordlicht zuckte über den Himmel. Es war ein großartiges Schauspiel, doch ich hatte nicht mehr als einen flüchtigen Blick dafür.
»Vielleicht könnten wir…«, setzte ich an und verstummte.
Suko packte mich hart am Arm. »John, dort vorne!« rief er und deutete durch die Windschutzscheibe.
Am Straßenrand stand ein Mann, von Kopf bis Fuß in dicke Pelze gehüllt. Er hob den Arm und winkte.
»Hier draußen ein Anhalter?« murmelte ich und lockerte meine Beretta. Sicher war sicher.
Als ich neben dem Fremden bremste, kurbelte Suko das Seitenfenster herunter. Eisiger Wind fauchte in das Wageninnere.
»Sprechen Sie Englisch?« wandte er sich an den Fremden.
Der Unbekannte schlug seine Pelzkapuze auseinander. Ich sah ein wettergegerbtes Gesicht mit dunklen Augen. Das Alter war unmöglich zu schätzen.
»Ich bin Meteorologe«, sagte der Fremde in akzentfreiem Englisch. »Mein Wagen ist liegengeblieben. Nehmen Sie mich mit?«
Ich runzelte die Stirn. »Das trifft sich ungünstig, weil wir eigentlich mitten in die Wildnis wollen.« Doch dann gab ich mir einen Ruck. Schließlich konnte ich den Mann nicht im Schneesturm stehenlassen, meilenweit entfernt von jeder Ansiedlung. »Steigen Sie ein!« forderte ich ihn auf.
»Vielen Dank«, sagte er mit einem eigentümlichen Lachen, das mir seltsam vertraut vorkam. Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Ich kannte diesen Mann nicht, das
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