0072 - Ich war kein Fraß für Tiger
herumträgt. Schlüsselbund, Taschentuch, Feuerzeug, Geldbörse, Zigarettenetui, Taschenmesser, Siegelring, Armbanduhr und noch ein paar andere Kleinigkeiten.
»Hast du Papiere gefunden?«, fragte ich Phil.
»Ja. Einen Führerschein.«
»Ich auch. Wie heißt dein Mann?«
»Steward Hail. Und deiner?«
»Bill Hail«, sagte ich langsam. »Wohnhaft 435, Park Avenue.«
»Meiner auch. Geboren 11. November 1918.«
»Meiner am 23. September 1916.«
»Also Brüder«, sagte Phil. »Es werden immer mehr seltsame Zufälle, findest du nicht?«
»Oh ja. Komm, fahren wir zur Wohnung der beiden. Es wird keine angenehme Sache, aber wir müssen es tun. Erstens müssen die Angehörigen unterrichtet werden, zweitens erfahren wir vielleicht ein paar Hinweise, wieso ausgerechnet zwei Brüder innerhalb weniger Tage rein zufällig im gleichen Zoo über die gleiche Brüstung ins gleiche Tigergehege stürzen sollen, obgleich doch keiner von beiden betrunken war! Ich denke, dass bei der Lage der Dinge niemand mehr wagen wird, uns etwas von Unfällen vorzuschwatzen. Hier liegt kaltblütig ausgeführter Doppelmord vor und nichts anderes!«
Wir fuhren in die Park Avenue. Und dort fanden wir die irreführendste Spur in der ganzen Sache.
***
Die Park Avenue gehörte einmal zu den vornehmsten Gegenden New Yorks. Heute hat sich das ein wenig geändert, aber es ist noch immer eines der ruhigsten und teuersten Viertel von New York.
Nummer 435 war ein sechsgeschossiges Haus. In der Höhe des zweiten Stockwerks lief eine Neonschrift an der Hauswand entlang, die verkündete, dass hier die Hail Brothers ihr Juweliergeschäft unterhielten. Die gesamte Vorderfront im Erdgeschoss wurde von großen Schaufenstern eingenommen, in denen Goldwaren und Schmuck ausgestellt waren.
Wir betraten zuerst das Geschäft.
Ein etwa zwanzigjähriger Büroclerk eilte auf uns zu.
»Womit kann ich Ihnen dienen, Gentlemen?«
»Wir hätten gern mit Mr. Hail gesprochen, das heißt mit irgendeinem der beiden Brüder.«
Wir sagten es mit völlig naivem Gesicht, als wüssten wir von nichts. Zu unserer Überraschung erwiderte der Clerk mit ebenso großer Selbstverständlichkeit: »Bemühen Sie sich bitte zur Anmeldung. Durch diese Tür dort gelangen Sie zu den Büroräumen. Sie können die Richtung nicht verfehlen.«
»Danke«, sagte ich.
Wir gingen den angewiesenen Weg und gelangten in einen Flur, von dem mehrere Zimmer abzweigten. Es gab Schilder wie Uhrenabteilung, Rohdiamanten, Schmuck und Goldwaren en gros und ähnliche. Wir fanden auch eines mit der Aufschrift Sekretariat und Anmeldung. Dort klopften wir.
»Herein!«, tönte eine warme Altstimme.
Wir folgten der Aufforderung und betraten ein großes Bürozimmer, das sehr modern eingerichtet war. Wenn die Hails überhaupt ein solides Unternehmen waren, so mussten sie außerordentlich gut dastehen, denn die ganze Einrichtung war für unsere Begriffe schon ein kleines Vermögen wert.
An einem kleinen Schreibmaschinentischchen saß eine ältere Sekretärin, die ganz anders aussah, als wir es nach der sympathischen Stimme erwartet hatten. Sie trug eine Brille auf der spitzen Nase und sah uns über die Gläser hinweg forschend an.
»Bitte sehr, Gentlemen?«, erkundigte sie sich.
»Wir hätten gern mit Mr. Hail gesprochen.«
»Mit welchem?«, fragte sie zurück.
»Das ist uns gleichgültig. Es handelt sich um eine private Angelegenheit, welche die Familie Hail betrifft.«
Die Sekretärin nickte, als hätte sie das von vornherein gewusst.
»Es tut mir sehr leid«, sagte sie. »Aber beide Gentlemen sind verreist.«
»Wann werden sie zurück sein?«
Das ältliche Mädchen hob die Schultern.
»Offen gestanden - ich habe keine Ahnung.«
Ich wurde unverfroren.
»Aber man wird Sie als Sekretärin doch davon unterrichtet haben, wann die Gentlemen wieder zurück sein werden?«
»Eben nicht«, gab sie achselzuckend zu. »Ich weiß es wirklich nicht. Aber erfahrungsgemäß bleiben sie selten länger als eine Woche, wenn sie einmal unabgemeldet verreisen.«
»Es kommt also öfter vor, dass die Inhaber dieser Firma verreisen, ohne dass jemand im Betrieb vorher etwas weiß?«
»Leider ja. Man ist in diesem Haus nicht sehr formell, wissen Sie? Das hat natürlich seine Vorteile, aber auch gewisse Nachteile. Mr. Stewart Hail erklärte mir einmal scherzhaft, wenn die Angestellten wüssten, dass der Chef bis zu einem bestimmten Tag verreist sei, dann würde bis zu diesem Tage halb so fleißig gearbeitet. Nur wenn
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