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0072 - Ich war kein Fraß für Tiger

0072 - Ich war kein Fraß für Tiger

Titel: 0072 - Ich war kein Fraß für Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ich war kein Fraß für Tiger
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eigentlich mit dem Schädel gegen den Beton knallen. Er müsste mindestens für eine Zehntelsekunde benommen sein. Und du müsstest doch wohl in einer Zehntelsekunde zweimal den Finger am Abzug krümmen können.
    Wenn, wenn, wenn…
    Jetzt brüllte er. Es war kein richtiges Brüllen. Eher ein unheimliches Grollen. Aber das Blut drängte mir zum Herzen, als ich diesen unheimlichen Laut hörte, dieses gewitterartige Rollen, das aus den Tiefen seiner Kehle stieg.
    Ich rührte mich nicht. Aufgerichtet stand ich mit dem Rücken gegen die Betonwand gelehnt und sah ihm entgegen. Und glauben Sie nur nicht, dass ich mich wie ein Held oder so etwas gefühlt hätte. Ich empfand die jämmerlichste Angst meines Lebens.
    Aber ich war viel zu sehr mit dem Tiger beschäftigt, als dass ich mich mit meiner Angst hätte beschäftigen können.
    Jetzt war er noch sechs bis sieben Schritte von mir entfernt.
    Ich spürte, wie meine rechte Hand auf einmal ganz ruhig geworden war. Im Augenblick der höchsten Gefahr hat man meistens keine Zeit, der Angst nachzugeben.
    Ich hob die rechte Hand mit der Pistole. Kühl und schwer lag die vertraute Waffe in meiner Hand.
    Und auf einmal ging alles wahnsinnig schnell. Er schoss vor wie ein Pfeil. Ich war ebenso schnell beiseite, aber ich stolperte über irgendetwas und fiel. Ich konnte mich gerade noch so herumwerfen, dass ich auf den Rücken fiel.
    Das Biest war von einer wahnsinnigen Schnelligkeit. Es schien sich mitten im Sprung zu drehen. Ich sah seinen weit aufgerissenen Rachen auf mich zukommen und stieß meine rechte Hand mit der Pistole vor.
    Ich fühlte das feuchte, warme Fleisch seines Rachens. Ich spürte seine Krallen in meiner Schulter. Gift sprühende Augen waren dicht vor mir, als ich in seinem Rachen abdrückte und abdrückte und abdrückte…
    Noch bevor ich alles richtig verstanden hatte, fühlte ich ihn erschlaffen. Er rollte zur Seite, ohne noch einen einzigen Laut von sich zu geben.
    Jetzt spürte ich, dass mir alle Glieder schmerzten. Wie die Hölle brannte meine Schulter, und ich fühlte, dass mir etwas Warmes, Feuchtes den Rücken hinablief.
    »Jeeerrry!«, gellte oben jenseits der Brüstung eine schrille Stimme.
    Ich vernahm es nur in meinem Unterbewusstsein, denn keine zwei Schritt vor mir stand der zweite Tiger. Er sah mich an und sog prüfend die Luft durch seine geblähten Nüstern.
    ***
    Phil hörte die Schüsse, als er gerade mit dem Wärter am Eingang darüber verhandelte, dass er herein müsste, auch wenn keine offizielle Besuchszeit mehr sei.
    Er stieß den Wärter beiseite und rannte los, in die Richtung, aus der die Schüsse gekommen waren. Von allen Seiten liefen jetzt auch schon die uniformierten Wärter des Zoos auf das Tigergehege zu. Man war in der letzten Zeit daran gewöhnt, dass dort etwas passierte, sodass man gar nicht auf den Gedanken kam, es könnte irgendwo anders geknallt haben.
    Als sich Phil über die Brüstung beugte, stand neben ihm ein alter Mann und sagte: »Ruhig! Halten Sie um Himmels willen Ihren Mund!«
    Phil brach der kalte Angstschweiß aus. Er war vor Schreck wie gelähmt. Ich war es nicht minder. Der zweite Tiger stand breitbeinig über mir und beschnupperte mich. Ich glaubte, eine eiskalte Hand zu spüren, die nach meinem Herzen griff…
    »Bleiben Sie ganz ruhig liegen«, sagte eine Stimme über meinem Kopf. »Ich bin der Tierarzt. Vertrauen Sie mir und bleiben Sie völlig bewegungslos liegen.«
    Ich tat es. Aber ich wäre auch ruhig liegen geblieben, wenn er nichts gesagt hätte. Die linke Vorderpranke des Tieres nagelte mich mit seinem ganzen Körpergewicht fest. Ich hätte mich gar nicht rühren können.
    Vor Schmerzen nicht.
    Unter seinem Gewicht nicht.
    Und vor Angst schon gar nicht. Die Angst saß mir wie ein würgender Kloß in meiner Kehle und verhinderte sogar mein Atmen. Ich war bis in die letzte Faser meines Körpers hinein nichts als reglose, gelähmte, frierende Lebensangst.
    Ich weiß nicht, wie lange es dauerte. Ewigkeiten waren es. Der scharfe Geruch des Tigers stieg mir in die Nase und würgte meinen Magen zu Übelkeitsanfällen, die sich zum Glück nicht austobten.
    Sein Gewicht verlagerte sich etwas, als er hinüber zu seinem Genossen sah, der lang gestreckt und wie schlafend neben mir lag. Die Kugeln waren ihm innen durch den Rachen ins Gehirn gedrungen. Aber sie waren nicht wieder zum Vorschein gekommen.
    Plötzlich schrie eine gellende Stimme weit links von mir: »Da, Assahn! Friss, Assahn! Komm, Assahn!«
    Und

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