0073 - Der Satansfjord
fassungslos. »Wo sind wir hingeraten, Captain? Sind wir schon ertrunken, und ist das der Seemannshimmel?«
Unwillkürlich dämpfte Captain Cunning seine polternde Stimme. »Das«, sagte er ergriffen, »ist der Satansfjord!«
Vine und Stockyard stießen gleichzeitig einen entsetzten Schrei aus. Fassungslos starrten sie ihren Captain an.
»Ich… ich habe immer geglaubt, das wäre nur eine Legende?« rief Vine und schlug mit seiner verstümmelten Hand gleich drei Kreuze.
»Seemannsgarn«, pflichtete Paul Stockyard bei und rückte nervös an seiner schwarzen Augenklappe.
»Ich habe den Fjord vor zehn Jahren gefunden!« Captain Cunning beugte sich mit leuchtenden Augen zu seinen Leuten hinunter. »Eigentlich wollte ich mich hier einmal zur Ruhe setzen! Hier würde mich keiner mehr finden! Ich wäre ganz allein! Aber ehe ich den Norwegern meinen Kutter überlasse, habe ich das Versteck aufgesucht. Die Zufahrt ist so schmal, daß sich kein Seemann hereinwagt!«
Die beiden Fischer, die noch nie im Satansfjord gewesen waren, sahen sich staunend um. Die finsteren Wolken waren draußen vor der Küste zurückgeblieben. Auf dem ersten Stück stiegen auch hier drinnen die Felsen steil aus dem Wasser, doch nach ungefähr einer halben Meile traten sie zurück. Sanfte, tiefgrüne Wiesen lösten sie ab. Rentierherden weideten an den Hängen. Das Wasser war glasklar. Man sah bis auf den Grund hinunter.
»Herrlich«, flüsterte Paul Stockyard ergriffen. »Wie können über einen so schönen Ort so häßliche Legenden entstehen?«
Captain Cunning stellte den Motor ab und ließ den Trawler treiben. »Ich weiß es nicht«, gestand er. »Aber…«
Ein grässlicher Schrei unterbrach ihn. Hester Vine hatte ihn ausgestoßen.
Die Rentierherden gerieten in Bewegung, aber sie flohen nicht vor dem Schrei. Sie stürmten auf das Wasser zu!
»Captain!« rief Stockyard entsetzt.
Erst jetzt merkte Captain Cunning, was mit Vine los war und warum er geschrien hatte. Hester Vine stand am Heck des Bootes. Seine Hände klammerten sich um ein mächtiges Rentiergeweih, das seine Brust durchbohrte und am Rücken wieder austrat.
Neben dem Schiff schwamm ein gigantischer Hirsch. Mit einem kraftvollen Ruck hob er den bereits toten Matrosen über Bord. Die beiden Überlebenden sahen noch seine funkelnden Augen, dann tauchte das Tier mit der Leiche unter.
»Weg hier!« schrie Paul Stockyard verzweifelt. »Die Sagen stimmen! Dieser Fjord ist verflucht!«
Cunning war noch immer starr vor Schrecken, doch er faßte sich schnell. Mit bebenden Händen ließ er den Motor wieder an. Behäbig drehte sich der Trawler und richtete den Bug auf das schmale Schluchttal, das auf die offene See führte.
Es war jedoch schon zu spät. Tausende von Rentieren schwammen in dem kristallklaren Wasser und versperrten mit ihren Körpern die Ausfahrt.
»Captain, da drüben!« Zitternd deutete Stockyard zum Ufer.
Dort stand hoch aufgerichtet ein Mann in einem bodenlangen, wallenden Umhang. Das Gesicht konnten sie nicht erkennen, aber sie fühlten die Wellen des Bösen, die von diesem Mann ausstrahlten.
Der Unheimliche hob die Arme und breitete sie beschwörend aus.
Sekunden später wurde die NORGE von einem mächtigen Stoß erschüttert. Kreischend und knirschend brach das Schiff in zwei Teile, die gurgelnd in dem klaren Wasser versanken. Die Rentiere hatten das Boot versenkt.
Captain Cunning und Paul Stockyard versuchten zu schwimmen, doch das Wasser rings um sie begann zu brodeln. Die Rentiere stürzten sich auf sie und griffen ihre wehrlosen Opfer an.
Die ganze Zeit stand der Mann mit dem wallenden Umhang reglos am Ufer und starrte mit brennenden Augen auf dieses Bild des Grauens.
Bald näherte sich vom Grund des Sees ein Wesen, das jeder Beschreibung spottete. Und dann geschah etwas, das nicht einmal mehr der Mann am Ufer mit ansehen konnte.
Obwohl er vom Bösen durchdrungen war, wandte er sich schaudernd ab und bedeckte sein Gesicht mit dem Umhang, während der höllische Bote die Toten in die Tiefe zerrte.
***
»Es ist eine unangenehme Sache«, sagte Sir Powell mit sorgenvoll gerunzelter Stirn und schluckte eine Magentablette. »Eine sehr unangenehme Sache!«
Ich grinste unbekümmert. »Ist doch klar, Sir! Heute ist der Dreizehnte! Was soll da schon Angenehmes geschehen!«
Sir Powell, nach vielen Jahren endlich geadelt, hob die Augenbrauen. »Sinclair, jetzt ist nicht die richtige Zeit für Späße! Denken Sie daran, daß Sie Oberinspektor von Scotland
Weitere Kostenlose Bücher