0073 - Gegen eine ganze Stadt
dass es ihm gelungen war, den Jungen zu retten…
Wir trugen den Jungen hinauf zu unserem Wagen.
Er war bei Bewusstsein, aber er war dicht vor einem Nervenzusammenbruch.
Seine Zähne klapperten wie in einem heftigen Schüttelfrost aufeinander.
Schweigend fuhren wir zurück zum Büro des Sheriffs.
***
Wir nahmen den Jungen in die Mitte, als wir ausstiegen und zum Office des Sheriffs gingen.
Holder blickte uns überrascht entgegen, sagte aber keinen Ton, nachdem er das gelblich weiße Gesicht des Jungen gesehen hatte.
Ich schob ihm einen Stuhl in die Knie, und er ließ sich wortlos niedersinken. Ein Blick unterrichtete den Sheriff.
Er füllte ein Wasserglas halb voll Whisky und schob es mir über den Tisch.
»Da«, sagte ich und drückte es ihm in die Hand. »Trink das.«
Gehorsam nahm er einen langen Schluck. Er verschluckte sich und hustete. Der scharfe Schnaps trieb ihm das Wasser in die Augen.
Aber wir sahen alle, wie die Farbe in sein Gesicht zurückkehrte.
Ich klopfte ihm auf den Rücken.
»Nimm noch einen Schluck. Es brennt zwar, aber es tut dir gut. Trink das Glas aus, wenn du es kannst.«
Er öffnete die Lippen und sagte leise: »Ja… danke… Ich will es versuchen…«
Er trank schlückchenweise den Rest. Dann lehnte er sich auf dem Stuhl zurück und schloss die Augen. Gleich darauf befiel ihn wieder das Zittern.
»He, mach die Augen auf!«, fuhr ich ihn an.
Er gehorchte.
Man durfte ihn jetzt nicht seiner Erinnerung überlassen. Das seelisch noch völlig unverdaute entsetzliche Erlebnis würde jedes Mal vor seinen geistigen Augen stehen, wenn er die Lider schloss.
»Ich möchte dir ein paar Fragen stellen«, sagte ich und setzte mich auf die Schreibtischkante. »Glaubst du, dass du mir antworten kannst?«
»Doch«, kam es zögernd von seinen Lippen. »Sicher. Warum nicht?«
»Also«, fing ich an. »Wer hat dich auf die Schienen gelegt? Hattet ihr eine Schlägerei oder so etwas?«
»No.«
»Zum Teufel, du lagst aber doch auf den Schienen?«
»Ja. Ich hatte mich selbst hingelegt.«
»Wusstest du nicht, dass ein Zug zu erwarten war?«
»Doch. Ich wusste es ganz genau.«
»Wolltest du…«
»Selbstmord begehen?«, vollendete er meinen angefangenen Satz. »Aber nein.«
Wir sahen uns überrascht an. Phil schüttelte verständnislos den Kopf und brummte: »Aber warum hast du dich dann auf die Schienen gelegt? Das muss doch einen Grund haben! Man legt sich doch nicht ohne jeden Grund auf Eisenbahnschienen. So weich ist diese Lage nun doch nicht!«
Der Junge hob den Kopf. Aber er sah an uns vorbei.
»Es sollte eine Mutprobe sein…«
»Eine was?«, fragte ich verdattert.
»Eine Mutprobe! Verstehen Sie denn das nicht?«
»No«, sagte ich hart. »Das verstehe ich überhaupt nicht.«
»Wir wollten uns der Reihe nach auf die Schienen legen. Ich war der erste nach dem Los. Um diese Zeit kommen nämlich sechs Züge kurz nacheinander dort vorbei. Das war mehr als ausreichend für uns vier. Jeder sollte sich auf die Schienen legen und den Zug möglichst nahe herankommen lassen, bis er beiseite sprang. Wer den Zug am weitesten auf sich zukommen ließ, bevor er beiseite sprang, der wäre dann der Mutigste von uns gewesen…«
Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. Phil knallte seine Faust in die geöffnete linke Hand, dass es ein klatschendes Geräusch gab.
»Der Mutigste!«, wiederholte ich, und ich musste mich beherrschen, um nicht loszubrüllen. »Der idiotischste Dummkopf wäre er! Der größte Dummkopf auf Gottes Erdboden!«
Ich bremste mich und fuhr etwas ruhiger fort: »Hör mal zu, mein Junge! Mut ist eine sehr feine Sache. Aber es ist mit ihm wie mit tausend anderen Sachen auch: Er muss einen Sinn haben! Mut für sich ist gar nichts! Mut um des Mutes willen ist überhaupt nichts! Mut, wenn man damit jemand helfen oder nützen kann - ja.«
Der Junge saß auf seinem Stuhl und schaute mit zerknirschter Miene auf den Boden. Ich wischte mir mit dem Taschentuch über die schweißbedeckte Stirn und fuhr fort: »Was für ein Mut wolltet ihr euch denn beweisen? Einen Mut, den es überhaupt nicht gibt! Hast du vielleicht Mut bewiesen, indem du dich auf die Schienen legtest? Ich will dir sagen, was du bewiesen hast: deine eigene, hochprozentige Dummheit! Was du tatest, hatte mit Mut gar nichts, aber auch nicht das Geringste zu tun! Mut muss man zeigen, wenn eine Gefahr unverschuldet auf einen zukommt! Du hast dir doch die Gefahr selbst gemacht! Das hat mit Mut gar nichts zu tun. Es
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