0073 - Gegen eine ganze Stadt
soll oder nicht. Schließlich nickte er widerstrebend und brummte.
»Ja. In der Mansarde unterm Dach.«
»Wie lange wohnt er schon bei Ihnen?«
»Eine Reihe von Jahren.«
»Zahlt er pünktlich seine Miete?«
»Hm, ja.«
»Wo ist er beschäftigt?«
»Ach, wissen Sie, Sam ist ein Original. Er hält nicht viel von geregelter Arbeit. Wenn er wieder ein paar Dollars braucht, macht er irgendwo ’ne Gelegenheitsarbeit…«
Ich sah ihn an.
Er wich meinem Blick aus. Okay, Jerry, sagte ich mir. Hier ist etwas faul. Und zwar nicht nur dieser Sam Croys.
Wenn ein Vermieter seinen arbeitsscheuen Untermieter in Schutz nimmt, dann stinkt die Sache. Aber da uns dieser merkwürdige Fischhändler sowieso nicht sagen würde, welche krummen Sachen er vielleicht mit diesem Croys gemeinsam veranstaltete, fragte ich nicht weiter.
»Wissen Sie, ob Croys oben in seinem Zimmer ist?«
»No, er ist nicht da. Vor ungefähr einer Stunde ging er weg. Ich weiß nicht wohin.«
»War er vorgestern Vormittag zu Hause?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich passe nicht auf, wann er geht oder kommt. Er ist ja schließlich erwachsen und ich bin nicht mit ihm verheiratet.«
Dieser schroffe Ton zwei Leuten gegenüber, von denen er wusste, dass sie zur Polizei gehörten, ließ auf ein schlechtes Gewissen schließen.
Unschuldige, biedere Leute sind der Polizei gegenüber erfahrungsgemäß friedlich und manchmal fast demütig. Nur das verkörperte schlechte Gewissen versucht, sich durch freches Auftreten zu verleugnen.
Je länger ich mir den Mann besah, desto misstrauischer musste ich werden.
»Okay, mein Lieber«, sagte ich. »Vorgestern haben Sie nicht aufgepasst, aber vor einer Stunde haben Sie’s. Und wie war’s vorgestern Nacht? Und die Nacht davor? War Croys im Haus oder nicht?«
»Das weiß ich nicht. In der Nacht schlafe ich.«
Ich drehte mich wortlos um und verließ mit Phil den Laden. Was hätte man auf so viel Ablehnung erwidern sollen? Vorsichtshalber stiegen wir zwar einmal die Treppen hinauf, aber Croys war anscheinend wirklich nicht zu Hause, denn auf unser Klopfen an der Tür zum Mansardenzimmer wurde uns nicht geöffnet.
Um mit Gewalt einzudringen, war vorläufig kein Grund gegeben. Unsere Gesetze sind da strenger als manche Leute glauben.
Da wir bei Croys nichts erreicht hatten, die zwei Stunden Frist für den Bürgermeister aber noch nicht abgelaufen waren, versuchten wir es bei Steve Grean, dessen Name ebenfalls auf dem Zettel des Sheriffs gestanden hatte. Wir fragten hinter der Bahnbrücke nach den Greans und erhielten von einem alten Mann, der eine Gartenhecke beschnitt, eine ausführliche Auskunft. Danach war es uns leicht möglich, das nette Einfamilienhaus der Greans zu finden.
Wir klingelten und mussten eine geraume Zeit warten, bis uns eine ältliche Dame mit hochnäsigem Gesicht die Tür öffnete.
»Bitte?«, sagte sie in dem gezierten Ton, der allen eingebildeten Frauenzimmern des wohlhabenden Mittelstandes eigen ist.
»Wir möchten gern Mr. Steve Grean sprechen«, sagte Phil, weil er sich auf den Umgang mit Frauen dieses Alters besser versteht als ich.
»Meinen Sohn?«, erwiderte sie stirnrunzelnd.
»Ja, wenn es Ihr Sohn ist.«
»Was soll das heißen?«, schnaufte sie.
Phil lächelte arglos.
»Woher sollen wir wissen, wessen Sohn Steve Grean ist? Woher sollen wir wissen, dass Sie die Mutter sind? Entschuldigung M’am, aber wir sind keine Hellseher.«
So viel Logik ging über ihr Begriffsvermögen. Sie war sich anscheinend nicht darüber klar, ob das beleidigend gemeint gewesen sein könnte oder nicht. Deshalb sagte sie erst einmal zögernd: »Was wollen Sie denn von meinem Sohn?«
»Wir sind Zeitungsreporter«, log Phil ungerührt. »Wir arbeiten an einer Artikelserie über die jungen Leute von heute. Wie verbringen sie ihre freie Zeit, was haben sie für Hobbys, welche Bücher bevorzugen sie, wann gehen sie gewöhnlich schlafen - und so weiter und so fort…«
»Oh, Sie sind von der Presse!«, flötete sie entzückt. »Bitte, meine Herren, treten Sie doch näher…«
Wir taten es, aber innerlich mussten wir uns das Grinsen verbeißen.
»Wenn Sie vielleicht einen Whisky oder sonst etwas trinken möchten?« fragte sie, nachdem sie uns in ein reichlich überladenes Wohnzimmer geführt und zum Sitzen aufgefordert hatte.
»No, danke«, sagte Phil freundlich. »Vor dem Mittagessen macht uns der Alkohol nur müde.«
»Vielleicht kann ich Ihnen ein paar Auskünfte geben?«, schlug sie vor.
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