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0079 - Der Tyrann von Venedig

0079 - Der Tyrann von Venedig

Titel: 0079 - Der Tyrann von Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wunderer
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junge, verhärmte Frau. Ihre dunklen Augen waren erloschen, lagen tief in den Höhlen und waren von Tränen gerötet. Sie trug schwarze Kleider, die sie noch bleicher erscheinen ließen, als sie ohnedies war.
    »Signor Sinclair!« Sie trat mir in den Weg, als ich mich den anderen anschließen wollte. Ein ›Schlummertrunk‹ in der Hotelbar stand auf dem Programm. »Ich bin Francesca Sina.«
    Die Ehefrau des ermordeten Fahrers der Linienschiffe! »Geht schon vor, ich komme gleich«, sagte ich zu meinen Freunden, auch zu Jane. Die Privatdetektivin wirkte abgespannt. Ich brauchte sie nicht bei dem Gespräch mit der jungen Witwe. Sollte sie sich doch erholen!
    »Kommen Sie«, sagte ich zu Signora Sina. »Setzen wir uns!« Dabei deutete ich auf die Sesselgruppe im Foyer.
    Sie schüttelte den Kopf und sah sich ängstlich um. »Nein, Signore, hier ist es zu gefährlich! Vielleicht werde ich bewacht! Gehen wir nach draußen! Ich muß Ihnen etwas zeigen!«
    Sie sprach Italienisch, das ich mühelos verstand. Warum sollte ich nicht mit ihr gehen? Ich warf zwar einen Blick zur Bar, weil ich gern meinen Freunden Bescheid gesagt hätte, aber Signora Sina drängte.
    Wir traten vor das Hotel. Sie blieb nicht stehen, sondern huschte in den Schatten eines breit ausfächernden Busches, der einen betäubenden Duft ausströmte. Ich trat zu ihr.
    »Was ist geschehen?« fragte ich erwartungsvoll. Vielleicht kam von der Witwe des Mordopfers ein wichtiger Hinweis.
    »Ich weiß, wo sich der Schwarze Doge versteckt«, sagte sie rauh.
    Das fuhr mir in die Knochen. »Sie wissen…? Wo?«
    »Ich bringe Sie zu ihm, Signor Sinclair!« Sie lachte häßlich.
    Zu spät begriff ich. Der Schwarze Doge hatte auch diese Frau in seine Gewalt gebracht! Sie war ein Lockvogel!
    Hastig wich ich zurück und griff nach dem Kreuz an meinem Hals, doch bevor ich es hervorziehen konnte, raschelte es links und rechts von mir in den Büschen.
    Vier Skelette stürzten sich auf mich.
    Ich ließ mich fallen, um ihren Knochenfingern zu entgehen.
    Sie reagierten blitzschnell. Ihre Hände schlossen sich um meine Arme. Ein eiserner Druck an der Kehle erstickte meinen Hilfeschrei. Ehe ich irgend etwas tun konnte, rissen sie mich hoch und schleppten mich mit sich.
    Das Silberkreuz half mir in meiner Lage genauso wenig wie die Beretta oder der silberne Dolch. Die Waffen steckten wirkungslos in meinen Kleidern, und die Skelette achteten peinlich darauf, daß ich nicht an meine Waffen herankam.
    Ihre Schritte hallten schaurig von den Mauern zurück, als sie mich durch eine handtuchschmale Passage zwischen den Häusern zum Canal Grande schleppten. Ich roch bereits das Wasser und hörte das Plätschern der Wellen an der Kaimauer.
    Eine Gondel schaukelte auf dem Canale. Es war nicht die große Gondel des Schwarzen Dogen, und der Gondoliere war kein Skelett sondern ein normaler Mensch.
    Der Gondoliere, der meine Freunde und mich gerudert hätte! Er stand im Dienst des Schwarzen Dogen!
    Ich hoffte darauf, daß mich die Skelette in die Gondel werfen und hinterherklettern würden. Dann wollte ich mich blitzschnell aus dem Boot ins Wasser werfen.
    Aber es kam anders, als ich mir das vorstellte. Sie bestiegen mit mir zusammen das schwankende Schiff und verloren auch nicht das Gleichgewicht, als eine besonders hohe Welle die Gondel hochhob und wie einen Korken tanzen ließ.
    Kaum lag ich auf den Planken, als der Gondoliere wendete und die Gondel mit kraftvollen Stößen in Fahrt brachte. Wer immer uns beobachtete, mußte an eine harmlose Kahnfahrt denken, denn die Skelette legten sich hastig Wolldecken um. Das wirkte unverdächtig. Die Abende waren im Mai noch kühl. Viele Touristen griffen zu diesem Mittel.
    Noch immer krallten sich die Knochenfinger in meine Arme und Beine. Schreien hatte auch keinen Sinn. Zwar hielten sie mir nicht mehr den Mund zu, aber eines der Skelette preßte seine Finger an meine Kehle. Kein Zweifel, beim ersten Laut würde es zudrücken, und dann…
    Wir verließen den Canal Grande, glitten am Dogenpalast und am Gefängnis vorbei. Ich sah die Lichter der Hafenschlepper, die am Ufer vertäut lagen. Endlich schwenkte der Gondoliere um neunzig Grad.
    Wir tauchten zwischen lichtlosen Mauern ein. Noch hatte ich die Route im Kopf, obwohl ich nicht viel sehen konnte. Die Gondel hielt Kurs auf das Arsenal.
    Ich mußte mir genau einprägen, wohin wir fuhren, damit ich später das Ziel wiederfand.
    Aber auch daraus wurde nichts. Die Knochenmänner hatten sehr genaue

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