007a - Amoklauf
ein, die sich aber davon nicht aufmuntern ließen. Die Eingeborenen waren mittelgroße, hellbraune Gestalten. Ihre Haare waren straff und schwarz, die Nasen flach und die Backenknochen vorstehend. Einer trug eine knielange Hose, die anderen einfarbige Sarongs.
Für Sekunden hatte ich Richardson aus den Augen gelassen. Als ich mich ihm wieder zuwandte, stand Schaum vor seinem Mund und seine Augen waren eigentümlich hell und durchscheinend. Sie blickten durch mich hindurch. In der rechten Hand hielt er einen gekrümmten Dolch, mit dem er von unten nach oben nach mir stach.
Ich überkreuzte die Arme und wehrte den heimtückischen Stich ab. Die scharfe Klinge ritzte meine rechte Handfläche. Er stieß einen heiseren Schrei aus und wollte sich aus meinem Griff befreien, aber ich umspannte sein Handgelenk und riß ihn an mich. Er fletschte die Zähne und brüllte laut auf. Ich hob das rechte Knie, schlug seine Hand dagegen, und der Dolch fiel neben mir zu Boden.
Richardson entwickelte schier übermenschliche Kräfte. Er riß seine Hand los, und bevor ich ihn nochmals packen konnte, hatte er sich aus dem Jeep geschwungen. Aus seiner Rocktasche riß er einen weiteren Dolch heraus und mit zwei Sprüngen war er bei den Wasserbüffeln. Er rannte um eines der gewaltigen schwarzen Tiere herum und ging auf einen Eingeborenen los, der ihn entsetzt anstarrte.
Ich sprang aus dem Jeep und setzte ihm nach. Bevor er noch zustechen konnte, hatte ich seine Jacke gepackt und ihn zurückgerissen. Er brüllte wütend auf und wandte sich mir zu. Diesmal gab es für mich kein Zögern mehr.
Ein Schlag gegen seinen Nacken ließ ihn taumeln. Ich ließ seine Jacke los, umklammerte ihn, drückte ihn nach hinten und schlug ihm die Handkante gegen die Kehle. Ein Zittern durchlief seinen Körper. Der Dolch fiel zu Boden. Ohnmächtig brach Richardson zusammen, und ich fing ihn auf.
»Terima – kaseh«, stammelte der Eingeborene, auf den Richardson losgegangen war.
Er bedankte sich bei mir.
»Jangan sebutkan itu«, sagte ich keuchend. »Apa nama tuan?«
»Tuanku«, nannte er mir seinen Namen.
Ich hob den Bewußtlosen hoch, und Tuanku half mir, ihn zum Jeep zu tragen. Wir verfrachteten Richardson auf den Rücksitzen, und ich untersuchte ihn. Sein Puls war beschleunigt, und sein Atem kam rasselnd. Sein Gesicht war bleich wie ein frischgewaschenes Bettlaken, und die Wimpern zitterten.
Tuanku bedankte sich noch immer überschwenglich. Ich winkte schließlich ab, da mir die Danksagungen auf die Nerven gingen. Er wünschte mir Glück, und das Glück sollte sich auch auf meine Nachkommen bis zur zehnten Generation erstrecken.
»Wo ist das Haus der Richardsons?« fragte ich ihn und schwang mich hinters Lenkrad.
Er fuchtelte eifrig mit den Händen in der Luft herum und deutete nach vorn. Ich bekam nur die Hälfte seines Wortschwalls mit, aber was ich verstand, genügte. Das Haus war nicht zu verfehlen, da ich nur immer den Weg entlangfahren mußte. Ich winkte Tuanku zu, startete und fuhr langsam an. Tuanku und seine drei Freunde blickten mir nach. Die Wasserbüffel gingen gemächlich weiter.
Ich wandte den Kopf und musterte Richardson. Er war noch immer bewußtlos und lag wie ein Toter auf den Sitzen. Sein rasselnder Atem bereitete mir Sorgen.
Ich wich den Schlaglöchern aus und fuhr so rasch es ging. Nach zwei Minuten lag eine Lichtung vor mir. Links tauchte ein Dutzend Pfahlbauten auf. Die Häuser standen hintereinander. Sie hatten gemeinsame Wände, und eine lange Veranda verband sie miteinander. Frauen starrten mir neugierig nach. Sie trugen enge Sarongs und metallene Ohrringe, sonst nichts. Kinder spielten im Sand vor den Pfahlbauten. Alle waren nackt und schmutzig.
Dann sah ich das Haus der Richardsons, das neben den trostlosen Bauten der Eingeborenen wie ein Königspalast wirkte. Es war ein langgestreckter weißer zweistöckiger Bau. Die unzähligen Fenster blitzten in der Sonne.
Wieder warf ich Richardson einen kurzen Blick zu. Ich konnte mir nicht erklären, weshalb er mich plötzlich angegriffen hatte. Er hatte sich wie ein Wahnsinniger benommen – als wäre sein Geist von einem Unbekannten beherrscht worden. In Indonesien und Malaysia waren vor vielen Jahren die Kopfjagd und das Amoklaufen sehr verbreitet gewesen. Jetzt kam so etwas kaum noch vor. Früher glaubten die Eingeborenen, die Lebenskraft des Getöteten für das Gedeihen der Felder oder der Gemeinschaft ausnutzen zu können. Oder sie wollten sich Diener für das Jenseits
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