0083 - Als die Knochenreiter kamen
gewesen waren, und hatte sich dann zu Chana herübergestohlen, die sehnsüchtig auf ihn gewartet hatte, wie es am Tage abgemacht worden war.
»Nie im Leben hätte ich gedacht, daß ich hier oben, in dieser armseligen Einsamkeit, das große Glück finden würde«, sagte Parandeh, während seine Hände zärtlich die samtweiche Haut des hübschen Mädchens streichelten.
Chana umklammerte mit ihren nackten Armen seinen Nacken und flüsterte: »Versprich mir, daß du mich nie mehr verlassen wirst, Tehar.«
»Ich verspreche es, Chana. In diesen wenigen Tagen, die wir uns kennen, bist du zu meiner Seele geworden. Wie sollte ich mich jemals von meiner Seele trennen können?«
Seine Hände liebkosten sie weiter, und er fühlte, wie sie unter den zärtlichen Schmeicheleien seiner schlanken Finger erbebte. Ehe sie erneut den Verstand verlor, legte sie beide Hände auf seine behaarte Brust und drückte ihn sachte von sich.
»Was hast du?« fragte Parandeh erstaunt.
»Ich möchte jetzt vernünftig sein, Tehar.«
»Wozu? Die Nacht ist zu schön, um ungenützt zu bleiben.«
»Wir haben sie bereits genützt.«
»Ich bin noch nicht satt«, murmelte Parandeh grinsend und versuchte sich auf Chana zu schieben, doch sie ließ es nicht zu.
»Bitte, Tehar!« sagte sie ernst. »Wir müssen miteinander reden. Jetzt gleich. Wir müssen über unsere Zukunft sprechen. Es ist wichtig.«
»Unsere Zukunft wird der Himmel auf Erden sein«, sagte Parandeh schmunzelnd.
»Hast du den Mullah vergessen?«
Tehar Parandeh zuckte hoch. Trotz der Dunkelheit konnte Chana seine Augen blitzen sehen. »Was ist mit dem Mullah?« fragte er beunruhigt.
»Ich war heute in seinem Haus«, sagte Chana leise. »Ich habe ihn nicht aus freien Stücken aufgesucht. Er hat mich zu sich befohlen.«
Parandehs Züge wurden hart. »Was wollte er von dir?«
»Er wird übermorgen das Dorf verlassen, Tehar.«
»Und?«
»Du weißt doch, er ist der Vertreter des Staates hier bei uns. Er wollte von mir hören, welche Männer ich in meinem Haus aufgenommen habe. Ich sagte ihm, es wären Freunde aus Teheran. Gute Bekannte, die mir in der fernen Stadt sehr geholfen haben. Doch der Mullah ist ein kluger Mann. Er läßt sich nicht so leicht hinters Licht führen. Man hat ihm erzählt, wie ihr ausgesehen habt, als ihr hier ankamt. Er weiß von Tabes gebrochenem Bein. Er reimt sich einiges zusammen, wie du dir denken kannst. Ich bin sicher, er wird sich nach euch erkundigen. Und wenn er erfährt, daß ihr entsprungene Häftlinge seid, wird er mit Polizisten zurückkommen.«
»Hat er das gesagt?« fragte Parandeh heiser.
Chana schüttelte den Kopf. »Nicht direkt. Aber er hat es versteckt angedeutet, und er hat keinen Zweifel darüber offengelassen, daß er etwas unternehmen wird.«
Parandeh knirschte mit den Zähnen. »Und ich dachte, meine Flucht wäre hier zu Ende.«
Chana küßte ihn.
Er fragte: »Kann man den Mullah nicht irgendwie…? Na, du weißt schon.«
»Der Mullah ist unbestechlich. Ein aufrechter Mann, der für die Wahrheit durchs Feuer geht. Man müßte ihn umbringen…«
»Das wäre auch keine Lösung für uns«, sagte Parandeh bitter.
»Wir dürfen unser Glück nicht auf den morschen Grund eines Blutverbrechens stellen, Chana. Dazu haben wir kein Recht.«
»Das ist auch meine Meinung, Tehar, deshalb werden wir das Dorf verlassen.«
Parandeh hielt den Atem an. »Du willst das alles hier aufgeben?«
»Was ist es schon? Eine armselige Lehmhütte und ein paar Tiere«, sagte Chana flüsternd. »Ich tausche das alles gern gegen eine Liebe ein, die mich zur glücklichsten Frau dieser Welt macht. Hinter meinem Haus warten zwei Esel, Tehar. Sie werden uns auf ihren Rücken tragen, wohin wir wollen.«
Flucht, dachte Parandeh verdrossen. Wieder Flucht. Würde er sein Leben lang immer wieder vor irgend jemandem fortlaufen müssen?
Hier war es der Mullah. Anderswo würde es vielleicht ein neugieriger Nachbar sein. Und eine Station weiter… o Allah, was würde danach kommen? Was würde geschehen, wenn er des Fliehens müde geworden war?
Parandeh wies mit dem Daumen zum angrenzenden Raum. »Und was wird aus Tabe?«
»Tabe wird hierbleiben.«
»Wenn der Mullah mit den Polizisten zurückkommt…«
»Wird man Tabe Hamad festnehmen«, sagte Chana emotionslos.
»Denk nicht mehr an ihn, Tehar. Wichtig sind nur wir beide. Wir müssen auf uns sehen. Wir können uns unmöglich auch noch um Tabe kümmern. Ich besitze nur zwei Esel… also kann Tabe Hamad nicht
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