0086 - Kreuzfahrt der Skelette
draußen auf dem Meer. Ihr wurdet von den Geisterpiraten überfallen. Was weiter?«
»Man brachte mich an Bord des Geisterschiffes.«
»Und dann?«
»Ich lernte Kapitän Mort Diabello kennen. Dieser Mann hat das Zeug in sich, ganz England zu beherrschen. Er hat es nicht nötig, sich auf den Ozean zu beschränken. Er wird an Land kommen…«
»Wann?« fragte ich schnell dazwischen.
»Bald. Schon sehr bald«, prophezeite Keith Kalley.
»Aufwelche Weise hat er dir das Leben genommen?« wollte ich wissen.
Kalley streckte mir seine Knochenhände entgegen. »Komm mit. Dann erfährst du es am eigenen Leib, Sinclair!«
»Ich hab’ sie zum Glück noch alle beisammen, Kalley.«
»Du hast keine Chance gegen Mort Diabello. Er wird sich von dir nicht aufhalten lassen. Er wird dich vernichten.«
»Das soll er mal versuchen. Sag mir, wo ich ihn finde. Wie komme ich zu ihm?«
»Ich führe dich zu ihm«, bot Kalley mir an. Doch er wollte mich hereinlegen. Deshalb sagte ich kopfschüttelnd: »Ich würde mich lieber allein zu Kapitän Diabello begeben. Wenn es sich darüber hinaus einrichten ließe, ihn zu überraschen, wäre mein Glück perfekt.«
Keith Kalley kam noch einen Schritt näher. Ich spürte die Kälte, die von ihm ausging. Er starrte mich mit haßerfülltem Blick an. »Mort Diabello wird dich zerquetschen wie ein Ungeziefer, Sinclair!«
Ich nickte. »Ich bin bereit, dieses Risiko auf mich zu nehmen.«
Kalley schien nicht mehr zu retten zu sein. Seine Seele war von Mort Diabello bereits in die Hölle geschickt worden. Von da konnte kein Mensch sie mehr zurückholen.
Ich versuchte, mehr Gewalt über den Piratenkonspiranten zu bekommen. Deshalb öffnete ich mein Hemd.
Als mein silbernes Kreuz zum Vorschein kam, stieß Keith Kalley einen hysterischen Schrei aus. Er konnte den Anblick des geweihten Kruzifix nicht ertragen. Das Kreuz machte ihn rasend. Mit einem Wutschrei griff er mich an.
»John!« kreischte Suzie Dingo entsetzt.
Ich sprang zur Seite. Kalleys Knochenfinger verfehlten meinen Hals. Ein Ellenbogen traf meine Schläfe. Ich war nahe daran, zu schießen. Doch es widerstrebte mir noch, abzudrücken, weil Kalley der Freund von Suzie Dingo gewesen war. Wenn ich ihm eine geweihte Silberkugel in den Knochenleib jagte, war er erledigt. Für immer.
Durfte ich Suzie das antun? Gab es tatsächlich keine Möglichkeit mehr, Kalleys Seele aus dem Totenreich zurückzuholen? Vielleicht mit Mort Diabeilos Hilfe?
Eine Vielzahl von Gedanken wirbelten mir durch den Kopf. Kalley hatte keine Skrupel. Er versuchte mich zu packen, erwischte meinen Arm, riß mich herum und wollte mir den Knochenarm quer über die Kehle legen.
Bevor er zudrücken konnte, krümmte ich meinen Rücken. Blitzschnell beugte ich mich nach vorn. Der Judowurf war vorbildlich angesetzt.
Keith Kalley wirbelte durch die Luft und landete hart auf dem Boden. Ich stieß meine Silberkugel-Beretta nach unten, setzte dem Gespenst die Mündung der Waffe genau auf die Stirn.
Doch Kalley ließ sich dadurch nicht zur Aufgabe zwingen. Seine Hände umschlossen kraftvoll meine Kehle und würgten mich. Ich war gezwungen, abzudrücken.
Laut krachte der Schuß. Die Silberkugel zertrümmerte den Totenschädel, als wäre er aus Glas gewesen. Das ganze Skelett bekam unzählige Sprünge, zerbrach wie zertrümmertes Porzellan und löste sich auf.
Nichts blieb von Keith Kalley übrig. Er existierte nicht mehr.
***
Die letzte grauenvolle Nacht und das schreckliche Erlebnis an diesem Tag waren einfach zuviel für Suzie Dingo. Sie konnte nicht mehr. Sie war am Ende. Mit glasigem, geistesabwesendem Blick schaute sie mich an. Sie weinte nicht mehr.
Das Leben hatte seinen Schrecken für sie verloren. Sie konnte nicht mehr klar denken. Die Geschehnisse hatten ihren Geist verwirrt. Sie schien sich in eine Scheinwelt zurückgezogen zu haben, in der es keinen Kummer und keine Sorgen mehr gab.
Langsam löste sie sich von der Wand, an der sie gelehnt hatte. Mit unsicheren Schritten stakte sie auf mich zu. Ihr Blick richtete sich auf die Stelle, wo Keith Kalley gelegen hatte. Sie schien nicht zu begreifen, daß sie ihren Freund nun nie mehr wiedersehen würde.
»Keith«, flüsterte sie, während sie sich an mich schmiegte.
Hielt sie mich für Keith?
»Ich werde auf dich warten, Keith«, sagte sie, und mir rieselte es kalt über den Rücken.
»Du wirst wiederkommen«, hauchte Suzie Dingo mir ins Ohr. »Eines Tages. Und dann werden wir glücklich sein. Ich kann warten.
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