0087 - Treibstoff 558
bringen.
Als ich um 0.30 Uhr Mr. Highs Office betrat, war ich genau sechzehn und eine halbe Stunde im Dienst, und in dieser Zeit war mehr passiert, als ein normaler Bürger in zehn Jahren erlebt.
Phil und Colonel Seagrave saßen bereits im Zimmer.
»Was gibt es, Jerry?«, fragte Mr. High.
Ich ließ mich müde auf den Stuhl fallen und zündete mir eine Zigarette an.
»Ich werde mal versuchen, die Tatsachen in ihrem zeitlichen Ablauf zu rekonstruieren. Die Sache begann ganz harmlos am Dienstag um 17 Uhr, als Clarissa Damell vom Büro aus ihre Mutter anrief und sagte, dass sie nicht nach Hause käme. Etwa um 18 Uhr war sie dann bei van Buren. Dort nahm sie vermutlich etwas Wichtiges mit - das ist natürlich nur eine Annahme, die ich nicht beweisen kann - und verüeß sogleich die Wohnung wieder. Nach 20 Uhr kam sie dann zu mir und warf den Zettel in den Briefkasten…«
»Woher wollen Sie das alles so genau wissen?«, unterbrach mich Mr. High.
»Weil ich genau um 20 Uhr in meinen Briefkasten sah und ihn leer fand.«
Mr. High nickte. »Weiter, Jerry.«
»Um 0.10 Uhr erschien Clarissa dann bei der Gepäckaufbewahrung im Grand Central Terminal und gab ihre rote College-Mappe auf. Anschließend kehrte sie nach Hause zurück, ohne dass ihre Mutter etwas davon merkte.«
»Wieso?«, fragte Mr. High.
»Beweis ist der rote Gepäckaufbewahrungsschein, den ich in ihrem Schrank fand. - Was zwischen 0.10 Uhr und dem Zeitpunkt ihres Todes geschah, weiß ich nicht. Sicher ist aber, dass der Mörder zunächst einmal um das, was Clarissa bei van Buren mitgenommen hatte, geprellt war. Wie gesagt, nur zunächst, denn er hat später auf irgendeine Art und Weise die rote Mappe aus der Gepäckaufbewahrung an sich bringen können.«
Es wurde an die Tür geklopft, und ein Beamter vom Bereitschaftsdienst führte die beiden Eisenbahner Smith und Gordon herein.
Smith war ein kahlköpfiger Mann von vielleicht 60 Jahren.
»Möchte wissen, warum Sie mich mitten in der Nacht aus dem Bett holen«, nörgelte er. »Ich bin seit vierzig Jahren im Dienst und habe mir noch nie was zuschulden kommen lassen. Sie können ruhig meinen Chef fragen, Sir. Ich habe…«
»Glaube ich ohne weiteres«, unterbrach ich ihn, da er uns sonst wahrscheinlich seine Lebensgeschichte seit der Schulentlassung erzählt hätte. »Sie haben in der vergangenen Nacht ab 0 Uhr Dienst gehabt, nicht wahr?«
»Yes, Sir.«
»… und um 0.10 Uhr kam diese Frau hier…« - ich zeigte ihm Clarissas Foto, »und gab Ihnen eine College-Mappe aus rotem Leder. Ist das richtig?«
»Stimmt, Sir. Ich kann mich noch genau an sie erinnern, weil sie ein Gesicht machte, als wäre sie einem Gespenst begegnet.«
Ich nickte. »Sehen Sie, Mr. Smith, ich wollte vor etwa eineinhalb Stunden die Mappe abholen, aber da war sie nicht mehr da. Sie ist also während Ihrer Dienstzeit oder während der Ihres Kollegen Gordon gestohlen worden.«
Er schüttelte den Kopf und meinte, das sei ausgeschlossen. Gordon beteuerte wortreich das Gleiche.
»Na schön, dann ist die Mappe also gewissermaßen unter ihren Augen gestohlen worden, ohne dass Sie es bemerkt haben…«
»Bei mir nicht«, sagte Gordon entschieden.
»Und wie ist es bei Ihnen?«, fragte ich Smith. Ich sah ihm an, dass er unsicher geworden war.
Er stieß einen Fluch aus. »Sollte mich dieses verdammte Biest hereingelegt haben?«
»Wer soll Sie hereingelegt haben?«
Smith rieb sich den Nasenrücken. »Tja, wissen ’se, 6 Uhr morgens ist eine ganz tote Zeit, und da kam so ein auf getakeltes Frauenzimmer und erzählte mir, sie hätte vor zwei Tagen für ihren Chef ein Lederfutteral mit Golfschlägern aufgegeben, den Aufbewahrungsschein aber verlegt. Wenn das ihr Boss erführe, kriegte sie einen Heidenkrach. Ich wollte dann auch nicht so sein und ließ mir das Futteral beschreiben. Und weil sie so nett war und so ’ne scheußliche Angst hatte, hab ich sie reingelassen. Wir haben zusammen fast ’ne Stunde nach dem Futteral gesucht, aber nichts gefunden. Wahrscheinlich hatte jemand den Schein gefunden und die Golf schläger abgeholt.«
Phil schaltete sich ein. »Es ist ganz klar, dass das Mädchen in einem unbeobachteten Augenblick die rote Tasche gestohlen hat. Es hatte einen ziemlich weiten Mantel an, nicht wahr? - Beschreiben Sie das Mädchen, soweit Sie können.«
Smith stotterte wohl eine Viertelstunde herum, aber das Ergebnis war recht mager. Angeblich war die junge Dame zwischen 28 und 30 Jahre alt und etwas über mittelgroß,
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