0088 - Der Guru aus dem Totenreich
Asculum in Apulien die Römer besiegt. Aber mit ungeheuren Verlusten, was ihn zum Ausspruch veranlaßt haben soll: »Noch so ein Sieg, und wir sind verloren…«
Der Französin blieb nur, Zamorras Galgenhumor zu bewundern. Sie brachte diese Nervenkraft jedenfalls nicht auf. Sie schmiegte sich eng an ihren Professor und wollte getröstet werden.
Zamorra sah sich dazu nicht in der Lage.
Seit auch der Gong sich in nichts aufgelöst hatte, saßen sie im Finstern auf der kalten Jadeplatte. Zamorra hatte schon überlegt, ob er nicht Steine aus den Felswänden brechen und sie übereinanderschütten sollte. Doch nachdem er kurz nachgerechnet hatte, daß über dieser Arbeit reichlich drei Wochen vergehen würden, ließ er es wieder bleiben.
Anschließend hatten sie sich noch fünf Minuten die Kehlen heiser geschrien.
Mit dem erwarteten Mißerfolg.
Als deshalb Zamorra Schritte über sich zu hören glaubte, dachte er zuerst daran, daß seine Ohren ihm einen Streich spielten.
Aber Nicole hörte sie auch. Sie krallte ihre Fingernägel in Zamorras Arm.
»Da ist was, Chef!«
Der Dämonenjäger sprang auf die Beine und dachte nicht mehr an seinen verstauchten Knöchel. Er schrie vielmehr:
»Ist da jemand?«
Das Echo warf seinen Ruf wie zum Hohn zurück. Sonst kam keine Antwort. Oder doch?
War da nicht ein unverständliches Lallen?
Dann bestand kein Zweifel mehr. Im Lichtschein des eigenen Feuerzeugs schob sich ein Kopf über die Öffnung.
Ein Mensch!
Rayanagu!
Er hatte den Range Rover zurückkommen sehen und war umgekehrt, weil er die Suche nach seinem Sadhu immer noch nicht aufgegeben hatte. An dessen Stelle fand er jetzt einen Mann und eine Frau.
Ein Seil kam herunter. Zamorra erinnerte sich, es auf der Ladefläche des Geländewagens gesehen zu haben.
Egal, wer der Mann da oben war. Er wollte ihnen offensichtlich helfen.
Zamorra faßte nach dem Seil. War der Mann stumm? Er gab nur diese brabbelnden Laute von sich.
Auch egal.
Der Dämonenjäger band Nicole am Ende des Seils fest. »Hilf ihm, wenn du oben bist«, gab er ihr als guten Rat mit auf den Weg. Dann winkte er. Der Kopf über dem Sarkophag nickte und verschwand. Nicole wurde hochgezogen. Zamorra half mit, solange er konnte.
Kurz darauf kam das Seil ein zweites Mal herunter. »Ihr braucht nur festzuhalten!« rief Zamorra. »Klettern kann ich noch.«
Er hantelte sich aufwärts, kletterte aus dem Satansgrab, das um ein Haar zu seinem Sarg geworden wäre.
Zamorra betrachtete sich den alten, abgezehrten Mann. Er hatte keine Hände, keine Stimme. Das eine Ende des Seils hatte er sich um die schmalen Hüften gewickelt. In dem dürren Kerl mußte eine ungeheure Kraft und Zähigkeit stecken.
Doch vor allem wollte Zamorra wieder zurück ans Tageslicht. Der Alte übernahm unaufgefordert die Führung.
Den letzten Höhenunterschied schaffte Zamorra mit einem Sprung. Er war es jetzt, der den Inder und Nicole nach oben zog.
Der Inder verbeugte sich vor ihm. Zamorra kam das äußerst selten vor. »Kannst du schreiben?« fragte er in Englisch.
Der Alte schüttelte den Kopf, und Zamorra seufzte. Wie sollte er sich mit dem Mann jemals verständigen? Wenigstens erfaßte er den Sinn seiner Worte. Das war wenig, aber besser als gar nichts.
»Du fährst mit uns«, stellte Zamorra fest und schob den Mann in den Range Rover.
»Kann ich mal Ihre Zunge sehen? Zunge?« fragte Nicole.
Der Alte streckte ihr den verquollenen Klumpen heraus. Auch Zamorra betrachtete sich interessiert die Narbe.
»Schlecht verheilt«, stellte er fest. »Sie wurde ihm gespalten. Aber das kann ein guter Chirurg wieder reparieren. Die Operation ist nicht schlimmer als die Korrektion einer Hasenscharte.« Der Alte verstand sie nicht. Aber in seinen dunklen Augen stand, daß er grenzenloses Vertrauen zu den Menschen hatte, die er gerettet hatte.
Vielleicht konnte er schon in drei Wochen eine Menge erzählen. So lange wollte Zamorra noch in Delhi bleiben.
Der Professor startete den Motor und fuhr der aufgehenden Sonne entgegen.
ENDE
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