0088 - Der Guru aus dem Totenreich
Mannes nach Süden aus.
Sadhu Shandri kniete zu Füßen des Mannes nieder und streckte die Arme weit über den Kopf. Rayanagu kauerte sich zu Boden wie ein getretener Hund, der sich in eine Ecke verkrochen hat. Seine Augen blickten leer. Er war nur mehr Werkzeug in den Händen seines pervertierten Gurus, bereit, jedem seiner Befehle willig zu gehorchen.
Der bleiche Mond trat hinter einem Wolkenfetzen hervor und übergoß die gespenstische Szenerie mit silbrigem Schein. Ein leichter Wind kam auf.
Der Dämon-Mönch kniete still. Die bernsteinfarbenen Augen über dem spitzen schwarzen Schnabel waren von faltigen Lidern verschlossen. Der Kehle entrang sich ein heiseres Krächzen, in dem Mantras formuliert wurden, die Sadhu Shandri, als er noch ein heiliger Mann gewesen war, nicht gewußt hatte. Sie entstanden von selbst in seinem Gedächtnis, wurden geweckt von der geheimnisvollen Gewalt, die sich seiner bemächtigt hatte.
Als er die Augen öffnete, sah er einen schwarzen Punkt vom Mond heruntergleiten. Klatschender Flügelschlag wurde laut. Zwischen den Schwingen glänzte es golden. Der Punkt vergrößerte sich rasch, wuchs an zu Rudrasvin, den er gerufen hatte. Der Himmel verdunkelte sich, als der Dämon über den Leichenplatz glitt und sich Sadhu Shandri gegenüber niederließ.
Der Echsenkopf wackelte. Der unselige Sadhu erhob sich, trat einige Schritte zurück.
Er wurde Zeuge, wie der Dämon seinen Schnabel in die Brust des Bewußtlosen versenkte und den Mann aufsaugte.
Der Körper des Weißen fiel zusammen wie ein Luftballon, in den man ein Loch gestochen hatte, wurde weniger und weniger und verschwand schließlich ganz im Inneren von Rudrasvin, dem vergessenen Gott, den menschlicher Frevel zurück auf die Welt geholt hatte.
***
Professor Zamorra hatte auf einem der zerbrechlich wirkenden Stühle Platz genommen, die an venezianische Kunstschmiedearbeiten erinnerten. Doch die grazilen Sitzgelegenheiten im Coffee Shop des Oberoi waren stabiler, als sie aussahen.
Der Parapsychologe aus Frankreich bestellte ein frugales Frühstück. Nicht zu opulent, aber auch nicht zu wenig. Er kannte Nicole Duvals morgendlichen Heißhunger zur Genüge. Dazu kam, daß sie die indische Küche innerhalb weniger Tage lieben gelernt hatte. Das schlug sich auf Zamorras Bestellung nieder.
Er orderte die ungeheuer süßen indischen Kuchen, Mango Juice, Kaffee und zwei Fruchtcocktails als Nachspeise. Dazu gebutterten Toast mit einheimischen Marmeladen.
Nicole ließ auf sich warten. Nach einer durchfeierten Nacht benötigte sie etwas länger für ihre Morgentoilette. Sie hatten sich im »Taj«, im Dachrestaurant des Oberoi hoch über dem Lichterglanz Delhis, königlich amüsiert und auch einen netten Tischnachbarn gefunden.
Graham Beckel hieß der Amerikaner, und er vertrat eine amerikanische EDV-Firma. Der gutaussehende Mann war sofort für Nicole, seine hübsche Sekretärin und Mitarbeiterin, entflammt.
Doch Nicole Duval war für Professor Zamorra noch eine ganze Menge mehr. Sie teilte dann und wann auch das Lager mit ihm. Graham Beckel hatte bei der kapriziösen Französin keine Chancen, was ihn jedoch keineswegs gehindert hatte, ihr heftig den Hof zu machen. Er war nicht ausfällig dabei geworden, und Professor Zamorra schrieb ihm das gut. Daß Nicole etwas zur Seite flirtete, gehörte zu ihrem Naturell wie ihre andauernd wechselnde Haarfarbe, da sie sich einbildete, jede neue Creation auf dem Kosmetikmarkt ihrer Frisur angedeihen lassen zu müssen. Zur Zeit trug sie weißblond mit einem Schimmer ins Violette.
Der Kaffee wurde trotz der Warmhalteplatte langsam kalt. Zamorra schaute auf die Uhr. Als er wieder hochsah, bemerkte er, daß die Köpfe sämtlicher dienstbaren Geister des Coffee Shops in eine Richtung fuhren.
Dann hörte er auch schon das Klappern von Nicoles hohen Absätzen auf dem Marmorboden.
Professor Zamorra brauchte sich nicht umzuschauen und genoß das. Die junge schöne Frau kam genau auf ihn zu. Eine Wolke ihres Parfüms schwebte ihr voraus.
»Bonjour, Monsieur«, trällerte sie fröhlich und beschwingt. Sie brachte gute Laune mit in den Raum, und einige der älteren Gäste lächelten stillvergnügt, als ihre Erinnerungen vergangene Zeiten heraufbeschworen, in denen sie auch so nette Käfer als Gesellschaft hatten.
Zamorra zog im Sitzen einen Stuhl zurück und wies galant mit der Hand darauf.
»Bitte sehr, Mademoiselle. Man hat gut geschlafen?«
Der Schalk blitzte in Nicoles gesprenkelten Augen, die
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