0088 - Der Guru aus dem Totenreich
sämtliche möglichen Farben einer Iris in sich vereinigten und ihre Farbe auch noch wechseln konnten. Je nach Stimmungslage. Jetzt glitzerten sie grünlich und signalisierten Freude.
Nicole hob gespielt tadelnd den Zeigefinger und sagte:
»Monsieur sollten das eigentlich sehr gut wissen…«
Zamorra lächelte. Er wußte. Der Rest der Nacht war noch schöner gewesen als der Tanzabend im »Taj«. Sie bewohnten gemeinsam eine Suite im Westflügel, und die Verbindungstür war diesmal offen geblieben.
Er schenkte Kaffee in die Tasse des zweiten Gedecks.
»Ist Mister Beckel noch nicht hier?« fragte Nicole und griff nach einem frischen, knusprigen Toast.
»Nein«, antwortete Professor Zamorra. »Er ist wohl nicht gleich aus den Federn gekommen. Wie spät war es gestern eigentlich?«
»Nicht ganz vier«, plauderte Nicole. »Aber Graham ging noch später ins Bett als wir.«
»Ja?«
»Ich bin doch nach dem Duschen noch kurz hinaus auf den Balkon. Ich müßte mich schon sehr täuschen, wenn er es nicht gewesen wäre, der vor dem Hotel noch auf und ab lief und eine Zigarette rauchte. Ich hatte mein Négligé an. Graham winkte mir zu. Er war es bestimmt.«
Zamorra biß sich auf die Unterlippe. Er liebte es nicht so sehr, wenn auch andere Männer in den Genuß Nicoles kaum verhüllter weiblicher Reize kamen. Bei all seiner Fortschrittlichkeit: in diesem Punkt war er altmodisch wie ein Ehemann der bürgerlichen Mittelschicht.
Das kapriziöse Mädchen erkannte seine Reaktion sofort und lachte trotz der anderen Gäste ungeniert und silberhell auf.
»Ich hatte mir doch den Bademantel übergeworfen.«
Professor Zamorra fühlte sich ertappt und wechselte schnell das Thema, bevor die Röte ihm bis unter die Haarwurzeln kroch.
»Was steht für heute in unserem Terminplan?«
»Graham wollte uns zeigen, wo du am besten deinen Guru findest. Wie du weißt, war er schon x-mal in Delhi. Er meinte, er kenne sich hier besser aus als in Chikago. Und seine Abschlüsse hat er ja schon gemacht. Er legt nur noch drei Tage eine Feierschicht ein.«
Nicole hatte eben beiläufig Professor Zamorras Grund für seinen Aufenthalt in New Delhi und auf dem indischen Subkontinent überhaupt genannt. Zamorra machte keinen Urlaub.
Er schrieb gerade an einem Buch über paranormale Fähigkeiten von Leuten, die sich durch Meditation und manchmal auch Psychodrogen in Zustände versetzen, in denen sie fähig werden, Sachen zu tun, die ein Normalsterblicher allem menschlichen Ermessen nach eigentlich nicht vollbringen dürfte, die den Rahmen alles Üblichen sprengten. Und wo konnte man auf Fakire und Yogis eher treffen als gerade in Indien, in dem das Leiden Tradition hatte?
Er wollte Berichten über angebliche Wundertäter nachgehen, die gerade wieder durch die westliche Presse geisterten, um die Sommerzeit, die Saure-Gurken-Zeit zu überbrücken, in der die Informationen spärlicher als im übrigen Jahr flossen.
Zamorra war froh, auf den sympathischen Amerikaner mit dem blonden Bürstenhaarschnitt gestoßen zu sein. Er hatte sich schon in den wenigen Gesprächen, die sie bisher geführt hatten, als exzellenter Kenner von Land und Leuten erwiesen und ihm auch bereits einige wertvolle Tips geben können.
Sie hatten ihr Frühstück schon fast beendet, nippten noch am Mango-Juice, und Graham Beckel hatte sich immer noch nicht sehen lassen.
Zamorra begann, unruhig zu werden. Ungute Ahnungen überfielen ihn. Er erschrak darüber, denn seine Ahnungen trogen ihn nur selten.
Er war nicht nur Wissenschaftler. Die Umstände hatten es mit sich gebracht, daß er verschiedentlich auch Schlagzeilen als gnadenloser Dämonenjäger machte, wenngleich die wenigsten Menschen wußten, weshalb er immer wieder Auseinandersetzungen mit der Geisterwelt und den Zwischenreichen hatte.
Vor Jahren hatte er ein Schloß an der Loire geerbt. Und mit ihm eine ungeheure Verantwortung, denn in der Hinterlassenschaft hatte sich das Zauber-Medaillon des legendären Leonardo de Montagne, eines seiner Vorväter, befunden. Das silberne Amulett, das ihm Macht über Dämonen, Werwölfe und Vampire verlieh.
Und so hatte Professor Zamorra den Mächten des Bösen einen immerwährenden Kampf angesagt.
Sollte es schon wieder soweit sein?
Unruhig rutschte der Dämonenjäger aus dem friedlichen Tal der Loire auf seinem Stuhl hin und her. Nicole entging sein plötzlicher Stimmungsumschwung nicht. Im Lauf der Jahre hatte sie einen sehr feinen Sinn dafür herausgebildet.
Ihr Blick war eine
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