0092 - Einsatz der Todesrocker
der Stelle zu kommen. Sie war bis auf die Haut durchgefroren, da ihr die richtige Kleidung fehlte.
Nichts anderes wollten die Rocker. Lucy sollte verzweifelt und erschöpft aussehen, wenn sie das Kloster erreichte.
Sie bogen um eine hervorstehende Felsnase, und Lucy spürte Sharingos Hand auf ihrer Schulter.
»Bleib stehen!«
Das Mädchen gehorchte.
Sharingo deutete nach vorn. Sein Arm beschrieb einen kleinen Bogen. »Sieh dorthin, da ist das Kloster!«
Lucy folgte mit ihren Blicken dem ausgestreckten Zeigefinger. Die Luft war klar, und obwohl es nicht richtig hell wurde, hoben sich die Umrisse des Klosters doch deutlich vor dem grauen Hintergrund ab.
Man konnte das Gefühl haben, es mit der Hand greifen zu können, so nah schien es zu sein. Aber Lucy Taylor wußte, daß die Entfernungen in den Bergen täuschten.
Was nah aussah, konnte meilenweit entfernt sein.
Eine Viertelstunde reihte sich an die andere. Die Zeit verging, und es wurde noch kälter.
Auf einem schmalen Pfad schritten sie dahin. Unter ihren Schuhen knirschten Steine. Es bestand laufend die Gefahr des Abrutschens. Lucy Taylor verzweifelte immer mehr. Sie hatte sogar schon mit dem Gedanken gespielt, einfach in die Tiefe zu springen, so ausweglos erschien ihr die Lage manchmal.
Obwohl sie eine Stunde marschiert waren, schien das Kloster nicht näher zu rücken.
Und dann fiel Schnee.
Zuerst nur winzige Kristalle, aber dieses Eis wirkte wie kleine, spitze Nadelstiche auf der Haut, die erst anfing zu brennen und im Laufe der Zeit immer kälter wurde.
Dazu der Wind.
Er heulte und jammerte um die Felsecken, blies den Schnee zu Wolken hoch und drehte sich dann zu Spiralen, um sie anschließend gegen eine im Weg stehende Felswand zu schleudern, wo sich der Schnee in zahlreichen Spalten und Rissen festsetzte.
Den Rockern machte der Weg nichts aus. Sie schienen die Kälte nicht zu spüren, aber für Lucy wurde der Gang zusehends beschwerlicher. Immer öfter knickten ihre Beine ein.
Dann ließ sie sich einfach fallen und blieb liegen.
Doch Sharingo kannte kein Pardon. »Hoch mit dir!« schrie er.
Als sie nicht sofort reagierte, packte er zu und riß Lucy Taylor auf die Füße.
Vor Schwäche wäre Lucy gestürzt, doch Sherman fing sie auf. Der häßliche Totenschädel befand sich dicht an ihrem linken Ohr. »Wenn du jetzt nicht weitergehst, läuft einer von uns zurück und tötet deine Freundin.«
Der letzte Satz gab den Ausschlag. Lucy nickte. »Ich gehe schon«, sagte sie. »Ich gehe…«
»Das wollte ich dir auch geraten haben«, zischte Sharingo. Dann lachte er auf. »Gut siehst du aus. Genau richtig für unsere Zwecke.«
Diese Worte waren der reine Hohn, denn Lucy Taylor wirkte unendlich erschöpft. Der Schnee klebte in ihren Haaren und in den Augenbrauen. Auf dem Gesicht schmolz er zu Tropfen, die langsam an ihren Wangen entlangrannen. Auch auf einigen Stellen der Kleidung lag die weiße Pracht, und die Kälte zog wie ein Gift durch ihren Körper.
Die Teufelsrocker hatten es nun eiliger. Scarface Joe und Sherman zogen das Mädchen mit sich.
Es ging noch weiter in die Höhe. Der Wind peitschte den Schnee. Die langen weißen Schleier führten die bizarrsten Tänze auf. Längst lag auf dem Boden eine dünne weiße Schicht, die zu einer gefährlichen Rutschfalle wurde.
Noch eine enge Kehre – da lag das Kloster vor ihnen.
Die Rocker blieben stehen.
Sharingo deutete nach vorn. »Die letzten Schritte mußt du allein gehen«, sagte er. »Und denk daran, was du zu tun hast.«
Lucy nickte erschöpft.
Noch einmal sammelte sie all ihre Kräfte. Mit müden Beinen, die kaum vom Boden abheben wollten, schritt sie auf das Bergkloster zu. Der Wind fuhr ihr entgegen, er rüttelte an der zerbrechlich wirkenden Gestalt und ließ sie hin- und herschwanken. Es sah so aus, als würde sie jeden Moment fallen.
Aber sie hielt sich. Der Gedanke an ihre Freundin trieb sie weiter.
Hoch wuchsen die Mauern vor ihr aus dem Schneevorhang. Auf ihnen klebte bereits eine weiße Schicht, als wäre sie darangeleimt worden. Kurz vor dem wuchtigen Eingangstor wurde der Weg ein wenig breiter. Dort war er von den Steinen geräumt worden.
Lucy Taylor fiel gegen das Tor. Mit beiden Händen stützte sie sich ab. Ihr Atem drang stoßweise und keuchend aus dem weit geöffneten Mund. Verzerrt vor Erschöpfung war ihr Gesicht. Schnee und Tränen vermischten sich zu einem nassen Film.
Dicht vor sich sah sie einen altmodischen Eisenklopfer. Lucy hob ihn hoch und hämmerte
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