0092 - Geheimmission Moluk
angelegt, daß der Eingesperrte mitunter überhaupt nichts von seiner bedauerlichen Lage bemerkte. Dies geschah jedoch nur in den seltensten Fällen. Meistens war ja der Inhaber eines Gefängnisses daran interessiert, daß seine Opfer wußten, was mit ihnen geschehen war.
Ebenso alt wie das Einsperren von Menschen ist der Gedanke an Flucht. Schon der Steinzeitmensch überlegte, wie er aus der Höhle seiner Gegner entkommen konnte. Je komplizierter die Verliese wurden, desto raffinierter wurden die Fluchtpläne. Es gab schließlich Zuchthäuser, die damit renommierten, daß über ihre Mauern noch kein einziger Flüchtling gelangt sei. Da zeigte sich nicht die geringste Möglichkeit, die ersehnte Freiheit vor jenem Zeitpunkt zu erlangen, den die Richter bestimmten. Als jedoch einer der Gefangenen unter der Mauer hindurch ausbrach, war das Zuchthaus seinen guten Ruf los. Man erfand Zeitschlösser, elektronische Sperren, Strahlenfelder, undurchdringliche Wände und baute sie in die Gefängnisse ein. So erstaunlich es war: Es wurde weiter geflüchtet. Keine noch so gut ausgeklügelte Anlage konnte den Willen eines Gefangenen zur Flucht zerstören. Auch im Zeitalter der wissenschaftlichen Perfektion und der supertechnischen Einrichtungen gab es immer wieder Menschen, die die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit damit beantworteten, daß sie flüchteten. Das Gefühl des Eingesperrtseins ist eines der schlimmsten für einen Menschen. Das Gefühl der Hoffnung jedoch ist stärker...
*
„Wir müssen hier irgendwie heraus", sagte Werner Sternal. „Auf jeden Fall müssen wir es versuchen. Es ist besser, etwas zu unternehmen, als hier solange herumzusitzen, bis sich unser Freund wieder um uns kümmert."
Bellinger hätte gern eingewendet, daß er sogar herumstehen mußte, aber Everson kam ihm zuvor.
„Wenn wir Pech haben, gibt es noch nicht einmal eine Öffnung", sagte der Oberst. „Napoleon kann sich nach Belieben durch die Wände bewegen."
Er wandte sich an Samy Goldstein.
„Können Sie eine geistige Verbindung mit dem Molekularverformer herstellen?" fragte er. „Spüren Sie, wo er sich gerade aufhält, oder wenn er sich nähert?"
Der Mutant machte eine vage Geste mit dem Arm. Wie alle Telepathen war er sensibel und litt unsagbar bei der geringsten Veränderung seiner gewohnten Veranlagung.
„Was immer ich Ihnen berichte, Sir", sagte er langsam, „wie können Sie wissen, ob ich es unbeeinflußt ausspreche? Meine Informationen nützen Ihnen nichts, denn Sie sind mir gegenüber mißtrauisch. Sie werden sich immer wieder vor Augen führen, wie ich von Mataal beherrscht wurde. Das gleiche kann auch jetzt möglich sein. Wir wissen es nicht. Was ich Ihnen erzähle, soll Sie vielleicht irreführen. Deshalb wird Sie jeder Bericht von mir nur verwirren."
Everson sah ein, daß der Mutant recht hatte. Es war jetzt vollkommen sinnlos, sich auf ihn zu verlassen. Goldstein würde nur reden, wenn er seiner Sache vollkommen sicher war. Und selbst dann würde ihm Everson nicht glauben können.
Inzwischen waren Weiß und Sternal aufgestanden und untersuchten gemeinsam mit Bellinger die Wände. Sie tasteten jeden Zentimeter ab, wenn ihre Hände auch nicht bis zur Decke reichten. Schließlich gelangte Poul Weiß an eine Stelle, die er besonders gründlich zu kontrollieren begann.
„Hier sind wir hereingekommen", erklärte er. „Es muß also eine Tür geben, oder wie auch immer sie es bezeichnen."
„Napoleon kann den Eingang ebensogut nur für den Zweck geschaffen haben, uns hierherzubringen", sagte Everson. „Es ist nicht gesagt, daß der Spalt noch existiert."
„Fangen Sie nicht damit an, Sir", rief Bellinger schrill. „In einigen Stunden werden Sie dann soweit sein, daß Sie die Existenz dieses Zimmers in Frage stellen. Wenn man erst einmal begonnen hat, leugnet man schließlich seine gesamte Umwelt."
Bestürzt registrierte Everson die panikartige Erregung des Leutnants. Er begab sich neben Weiß. Der Biologe arbeitete unverdrossen. Selbst wenn es ihnen unerwarteterweise gelingen sollte, hier zu entkommen, überlegte Everson, was wollten sie dann tun? Hinter diesem Raum war ein Gang, dahinter ein weiteres Zimmer. Wenn sie flüchteten, veränderten sie nicht ihre Lage, sondern lediglich ihren Standort. Es wäre das gleiche gewesen, wenn ein Gefangener von Sing-Sing von seiner Zelle aus einen unterirdischen Gang gegraben hätte, der ihn direkt in die Wachstube führte.
„Geschafft", jubelte Weiß.
Everson
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