0093 - Vlado - der Schreckliche
ergeben.
Sura war groß, schlank und rotblond. Über hochangesetzten slawischen Wangenknochen saß ein brennendes, wildes Augenpaar. Wirr fielen ihr Haarsträhnen ins breitflächige Gesicht. Sie lächelte gierig, als ihre Blicke über die Menschen glitten.
Mita war zierlicher und dunkelhaarig. Fingernägel standen wie Klauen von den dünnfingrigen Knochenhänden ab. Ihr Mund war breit und nahm fast die untere Gesichtshälfte ein.
Burko, der Gnom, hoppelte krummbeinig die ausgetretenen Stufen herab und stieß ein heiseres Krächzen aus. Er reichte seinem Herrn nicht einmal bis zu den Hüften. Ein mächtiger Buckel ließ ihn noch kleiner aussehen und drückte ihn der Erde entgegen, wie ein schwerer, mit Steinen gefüllter Sack.
Der Zwerg hatte nur mehr ein Auge. Das andere war ihm ausgestochen worden, als er während Vlados Raubzügen einmal in die Hände aufgebrachter Dörfler gefallen war. Der Leichenfürst hatte diesen Übergriff grausam gerächt, die Schuldigen und ihre Familien bei lebendigem Leibe gepfählt.
Ein Bein war kürzer als das andere. Das verhalf ihm zu seinem seltsamen hüpfenden Gang. Vor Vlado blieb er stehen, warf seinen kugelrunden, kahlen Schädel weit in den Nacken, um seinen Fürsten ansehen zu können. Sein Gesicht war zu einer hässlichen Fratze verzerrt. Burko lächelte erfreut.
»Fünf«, krächzte er rau. »Fünf auf einmal. Du bist unschlagbar, Vlado. Das gibt ein herrliches Fest. Noch heute?«
Der Leichenfürst schüttelte seinen hageren Kopf.
»Noch nicht, Burko. Für diese Nacht ist es schon zu spät. Doch wir werden alles vorbereiten.«
»Ja«, kicherte Burko begeistert. »Bereiten wir alles vor. Sura und Mita freuen sich auch schon. Aber wir töten sie doch heute noch, nicht?«
Vlado sah zum blutroten Mond hinauf, der neben dem Söller am Himmel hing.
»Die Nacht wird schon alt«, stellte er fest. »Wir sollten nichts überstürzen. Eile tut nicht not. Wir haben Zeit. Sehr viel Zeit, und es sind fünf.«
»Herrlich«, kicherte Burko irr. »Es sind fünf. Fünf lebende Menschen voller Blut.«
»Und es wartet auf uns«, ergänzte Vlado, der Ghul. »Führen wir sie hinunter in die Verliese.«
»Das werden wir tun. Ja, Fürst. Und morgen feiern wir das Fest.«
»Morgen nacht feiern wir ein Fest, Burko.«
Der Gnom humpelte neben die Gefangenen, die mit leeren Blicken und gesenkten Häuptern dastanden, und befingerte sie gutachtend.
»Ausgezeichnet, ausgezeichnet«, murmelte er immer wieder.
***
Zamorra hatte Nicole nochmals eingeschärft, keinen Fuß aus dem Hotel zu setzen. Sie sollte im ›Sonnenhof‹ auf ihn warten, bis er zurückkam.
Jetzt stand der Professor in einem Haushaltswarenladen in Bayerisch Eisenstein und wog eine Blechschere in der Hand. Sie war zu schwer und zu groß.
»Haben Sie nichts anderes in der Art?«, fragte Zamorra den Verkäufer. »Ich suche eine Drahtzange.«
Der Verkäufer grinste.
»Wollen Sie den Eisernen Vorhang knacken?«
Zamorra brummte etwas Unverständliches. Das wollte er tatsächlich. Er beantwortete die Frage des Verkäufers nicht, sondern bedachte den jungen Mann nur mit einem Blick, der ihn sofort verstummen ließ. Der Verkäufer räusperte sich verlegen.
»Vielleicht versuchen Sie’s mit der«, meinte er und zog ein weiteres Werkzeug aus einer Holzkiste unter den Regalen.
Professor Zamorra nahm es und wog es in der Hand. Auch noch ziemlich schwer und mit einer halben Armlänge ziemlich groß. Aber diese Zange war zweifellos geeignet, eine Öffnung in einen Maschendraht zu zwicken und sich auch Durchlass bei einem Stacheldrahtverhau zu schaffen.
»Ich nehme sie«, sagte er.
Der Verkäufer wollte die Zange verpacken, nachdem Zamorra bezahlt hatte.
»Nicht nötig«, meinte der Dämonenjäger. »Ich nehme sie gleich so mit.«
Der junge Mann schaute zu, wie Zamorra das Werkzeug unter seinem Mantel verstaute. Frische Batterien für seine Taschenlampe hatte der Parapsychologe schon vorher eingesteckt.
Er trat hinaus auf die nasskalte Straße. Im Ort bedeckte Schneematsch den Asphalt. Das Wetter war trist. Bleiern hingen Wolken über den Häusern. Nur wenige Autos fuhren. Nur wer unbedingt musste, zeigte sich draußen. Kahl streckten die wenigen Laubbäume im Ort die Äste gegen den Himmel. Der Sturm der vergangenen Nacht hatte die letzten Blätter von den Zweigen gefegt.
Zamorra wich den größten Pfützen aus und hielt das Kinn an die Brust gesenkt. Der Stahl seiner Luger fühlte sich warm an in seiner
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