0093 - Vlado - der Schreckliche
Manteltasche.
Normalerweise ging er unbewaffnet, doch bei dem Unternehmen, das er nun vorhatte, wollte er nicht allein auf sein Medaillon vertrauen. An der Grenze wurde scharf geschossen. Vielleicht wurde es notwendig, dass er Männer der tschechischen Grenzpolizei in ihre Deckungen trieb und sich einen Vorsprung verschaffte.
Im Grunde genommen war es Wahnsinn, was er unternehmen wollte. Nämlich nicht mehr oder weniger, als am helllichten Tage hinüber in die Tschechei zu wechseln, eine der am schärfsten bewachten Grenzen überhaupt zu überwinden. Irgendwo hatte er einmal gelesen, dass auf einen Abschnitt von einem Kilometer Länge vier Soldaten kamen.
Er schüttelte die Gedanken daran ab. Zamorra sah keine andere Möglichkeit, wenn er Jurai Cup noch helfen wollte. Vielleicht lebte der Mann noch. Vielleicht auch nicht. Jedenfalls war es sich Professor Zamorra schuldig, dass er alles menschenmögliche unternahm, um ihn zu retten.
Viel Hoffnung bestand nicht. In diesem Punkt machte sich Zamorra nichts vor. Auch die Männer des deutschen Bundesgrenzschutzes würden nicht schlafen. Er hatte mehrere Sperren zu überwinden.
Zamorra lief noch um die zweihundert Meter die Straße entlang, die zur tschechischen Grenze führte. Bayerisch Eisenstein hatte keine Zollstation. Die nächste offizielle Stelle befand sich ein paar Kilometer weiter nördlich, bei Furth im Wald. In Bayerisch Eisenstein endete die Straße in einer sumpfigen, jetzt schneebedeckten Wiese. Es nieselte vom grauen Himmel herab. Hoffentlich wurde die Leiche von Pavel Zapotoky nicht so schnell gefunden. Der Schnee wurde bereits pappig. Andererseits wies der Körper des Toten keine äußerlichen Verletzungen auf. Wurde er wirklich gefunden, konnte die westdeutsche Polizei sich den Kopf darüber zerbrechen. Bei einer Autopsie würde man unschwer feststellen, dass der Tscheche an einer ›natürlichen‹ Todesursache verstorben war. Und wie er ausgerechnet in die schneeverwehte Erdmulde oberhalb des ›Sonnenhofs‹ geraten war? - Das war nicht mehr Professor Zamorras Problem.
Gedankenschwer stapfte der Dämonenjäger einen Hang hinauf. Er hielt die Zange gegen seinen Oberkörper gepresst. Im Dunst machte er einen Wachturm aus. Er musste weiter.
Zamorra hatte sich festes Schuhwerk übergestreift. Kurz dachte er einmal an Nicole Duval, die in ihrem warmen Hotelzimmer saß und sich bestimmt Sorgen wegen ihm machte. Zamorra wollte Nicole nicht dabei haben. Er wollte sie nicht in Gefahr bringen. Und diesmal hatte er es nicht nur mit den Mächten der Finsternis zu tun, sondern auch mit sehr greifbaren Gegnern. Und mit versteckten Minen eventuell und mit Selbstschussapparaten am Eisernen Vorhang. Die westliche Presse hatte sich detailliert darüber ausgebreitet.
Die Selbstschussanlagen waren mit Schrotkömern bestückt. Die Ladungen zerfetzten einen menschlichen Körper, wenn er in eine der Fallen geriet. Zamorras Aussichten waren alles andere als rosig.
Missmutig bahnte er sich seinen Weg.
Beinahe automatisch schlug er die Richtung ein, die sie letzte Nacht gefahren hatten. Hin zu dem Waldstück, durch das der leere Wildbach führte.
Der Tscheche war dort ungeschoren über die Grenze gekommen. Vielleicht schaffte das auch Professor Zamorra.
Zwischen den Bäumen lag der Schnee noch nicht so hoch. Er kam gut vorwärts und brauchte kaum eine Stunde bis hin zu der Stelle, an der er sich Pavel Zapotoky auf die Schultern geladen hatte.
Zamorra hätte etwas darum gegeben, jetzt einen Fährtenhund bei sich zu haben, der die Spur des Verstorbenen zurückverfolgen hätte können.
So aber war er auf sich selbst angewiesen, und Zamorra hatte noch nie die Fähigkeiten eines Scouts bei sich entdeckt.
Abgebrochene Zweige im Unterholz, Fußstapfen auf dem Boden.
Zamorra hatte kein Auge dafür, obwohl er sich zu konzentrieren versuchte.
Dann war der Wald plötzlich zu Ende. Bulldozer hatten die Bäume niedergewalzt und eine Schneise geschaffen, die sich die ganze Grenze entlang zog.
Freies, übersichtliches Gelände. Unweit vor ihm der zwischen Betonsäulen gezogene Maschendrahtzaun, dahinter Rollen von Stacheldraht und dann der Todesstreifen, der sogar zu dieser frühen Vormittagsstunde schon vom Schnee befreit war. Soldaten konnte Zamorra nirgendwo entdecken. Auch keine Wachtürme.
Er holte noch einmal tief Luft, bevor er sich auf den Weg machte.
Die Zange nahm er in die Hand.
Das erste Hindernis war schnell überwunden. Zamorra schlüpfte durch die Öffnung,
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