0093 - Vlado - der Schreckliche
Anschein nach nach oben führten. Auch seine Leute stellten sich blind. Nicht einer wagte es, einen Blick in die offenen Sarkophage zu werfen. Sie standen abseits an den hinteren Wänden. Die Soldaten und Agenten folgten ihrem Leutnant.
Sie alle wollten nur eines - heraus aus diesem makabren Labyrinth. Nach vielen Stufen und viel vergossenem Schweiß erreichten sie die offene Falltür. Dass von der Wendeltreppe weitere Gänge abgezweigt hatten, ignorierten sie.
Karel Capek stieg als erster hinaus. Herrlich kühle Nachtluft umfächelte ihn. Er sog die Lungen voll davon.
Dann sah er einen Mann und eine Frau in der Mitte des Burghofs stehen. Sie hatten die Arme über die Köpfe erhoben und wurden von seinen Leuten gerade durchsucht.
Karel Capek richtete seinen Scheinwerfer dorthin. Ein sattes Grinsen huschte über seine Züge. Sollte dieser Tag doch noch zu einem für ihn guten Ende kommen? Es sah ganz so aus. Er dachte nicht mehr an die ausgebleichten Knochen und an die Gruft mit den fünf Särgen. Er lebte, und sie hatten Gefangene gemacht. Eine Welle der Zufriedenheit durchwogte ihn.
Der Leutnant des Staatssicherheitsdienstes gab seine Leuchte an den Hintermann weiter und stapfte auf die Gruppe zu. Einer seiner Männer hielt den Mann und die Frau mit der MP in Schach. Karel Capek registrierte, dass die Frau jung und außerordentlich hübsch war. Trotz des Schmutzes an ihrer Kleidung.
Der Mann - etwa Anfang der Vierzig, wenn er richtig schätzte -machte auf ihn keineswegs den Eindruck eines ausländischen Agenten. Der Franzose war schwer einzuordnen. Er glich keinem der Männer, die Karel Capek im Laufe seines Lebens zu Gesicht bekommen hatte. Er war auf eine seltsame Art anders als alle anderen.
Beeindruckend.
Ja. Das war das richtige Wort. Der Mann mit den dunkelblonden Haaren beeindruckte ihn. Er war ein Urbild der Kraft. Nicht, dass er sonderlich muskulös gewesen wäre. Das nicht. Trotz der athletisch breiten Schultern und den schmalen Hüften. Dieser Mann bezog seine Kraft von etwas anderem, Undefinierbarem. Karel Capek fand nicht die richtigen Ausdrücke dafür.
Capek stand Zamorra inzwischen gegenüber. Der Soldat mit der MP war zurückgewichen. Die beiden Männer musterten sich sekundenlang, um auszutaxieren, was sie voneinander zu halten hatten.
Zamorra gewann das Duell der stummen und doch so beredten Blicke. Capek sah als erster zur Seite. Er räusperte sich, während er seine immer noch von Knochenstaub gepulverten Stiefel einer eingehenden Betrachtung unterzog.
»Haben wir Sie also doch gefasst.«
Karel Capek sprach deutsch.
Zamorra nickte.
»Sie werden nicht glücklich damit, Leutnant.«
Überrascht sah Capek auf. »Sie kennen meinen Rang?«
»Ich kann zwar kaum tschechisch, aber Sie haben Schulterklappen am Mantel. Und Sie sind noch jung. Ich nehme an, dass Sie Leutnant sind.«
»Und Sie? Was sind Sie?«
»Wissenschaftler«, antwortete Professor Zamorra und nannte auch seinen Namen.
»Und jetzt wollten Sie wohl erforschen, wie man ungesehen in unser Land eindringt«, erwiderte Capek ungnädig. »Wir nennen solche Leute nicht Wissenschaftler, sondern Spione.«
Zamorra musterte Capek kalt.
»Wollen Sie sich lächerlich machen, Leutnant? Sie waren unten im Labyrinth. Ich nehme an, dass Sie in etwa denselben Weg genommen haben, wie wir auch. Ist Ihnen unterwegs wirklich nichts aufgefallen?«
»Was sollte mir aufgefallen sein?«, meinte Karel Capek verdrossen. »Wir haben Ihre Spuren verfolgt, sonst nichts.«
»Soll ich jetzt laut oder leise lachen, Leutnant«, meinte Professor Zamorra trocken. »Wenn mich nicht alles täuscht, haben Sie Knochenstaub an ihren Stiefeln. Außerdem steckt ein menschliches Schlüsselbein oben im Stiefelschaft. Erzählen Sie mir nicht, dass Sie immer so herumlaufen.«
Karel Capek schaute betroffen an sich herunter. Da steckte in der Tat ein Knochen in seinem Schuh.
Er bückte sich, um ihn zu entfernen.
Doch in dem Augenblick, in dem er ihn berührte, zerbröselte er zu gelbem Staub.
»Wer und was sind Sie?«, fragte er nach einer Pause an Zamorra gewandt. Er fühlte sich seinem Gefangenen hoffnungslos unterlegen. Wie ein Student, der bei seinen besten Professoren ins mündliche Examen geht. Er wusste selbst nicht, woher es kam, dass er die Überlegenheit dieses Fremden plötzlich rückhaltlos anerkannte. Lag es an seinem bohrenden Blick? An der Würde, die er zweifellos ausstrahlte?
»Ich habe meinen Namen gesagt«, beantwortete Professor Zamorra
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