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0094 - Das Grauen lauert in Soho

0094 - Das Grauen lauert in Soho

Titel: 0094 - Das Grauen lauert in Soho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franc Helgath
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Bahnarbeiter aus Leeds, sie endlich allein nach London ziehen ließ. Mit einem Koffer voller gutgemeinter Ratschläge, die Judy Pembroke inzwischen samt und sonders in den Wind geschlagen hatte. Sie mochte ihr neues Leben im Künstlerviertel des »Swingin’ London«. Lad Carner war ein Teil davon. Doch in dieser Nacht störte er.
    Der Junge sah das endgültig ein.
    »Dann wünsche ich dir morgen vormittag ein gutes Auge, Schwester«, sagte er. »Erkenne diesen Knilch mit dem roten Bart, steck mir ein paar Scheine zu, und ich werde dich großartig ausführen. Die ganze Stadt werde ich dir zu Füßen legen. Die Sterne hole ich dir eigenhändig vom Himmel, und ich werde…«
    Judy verschloß dem jungen Mann die Lippen mit einem Kuß und entwand sich anschließend sofort seinen zugreifenden Armen. Lad konnte sich aufführen wie ein Oktopus mit acht Tentakeln.
    »Ruhe, jetzt, Mr. Carner!« sagte sie streng. »Die Teestube ist geschlossen. Sperrstunde. Endgültig.«
    Sie begleitete Lad noch an die Tür.
    »Schließ gut ab«, riet ihr der junge Mann noch zum Abschied. »Es würde mir leid tun, wenn man dich stiehlt. Du bist auf einmal sehr, sehr wertvoll geworden. In deinen zarten Händen liegt das Schicksal eines der begnadetsten Künstler der Neuzeit. So eine kleine Galerie kostet wirklich nicht die Welt. Ein kleines Darlehen von sagen wir hundert Pfund müßte vollauf reichen. Selbstverständlich zahle ich dir jeden Penny zurück. Ich…«
    »Verschwinde, Lad Carner. Ich muß darüber schlafen, ob du kreditwürdig bist. Hau doch ab. Und singe nicht wieder zotige Lieder, wenn du im Treppenhaus bist. Die Nachbarn haben sich beschwert.«
    »Deine Nachbarn haben kein Verhältnis zu Villon«, antwortete Judys Freund düster, grinste jedoch sofort wieder und trappelte, einen der anzüglichsten Verse des französischen Verbal-Erotikers trällernd, die dunklen Stufen hinab. Aufatmend schloß Judy Pembroke die Tür hinter ihm und lehnte sich sekundenlang dagegen.
    Lad konnte anstrengend sein. Trotzdem hatte sie an diesem Abend seine Gesellschaft gesucht. Sie hatte jemanden gebraucht, mit dem sie sich etwas aussprechen konnte. Nur leider war Lad Carner ein denkbar ungünstiger Partner für ernsthafte Diskussionen. Er war ein Luftikus, der die gute Laune für sich gepachtet zu haben schien. Vermutlich fühlte sich Judy deshalb so sehr zu ihm hingezogen. Sie war kein Mädchen, das ein Lokal unterhalten konnte. Sie gab nur eine prächtige Zuhörerin ab.
    Deshalb hatte sie Lad auch nichts von dem erzählt, was sie eigentlich bewegte.
    Daß sie Angst hatte, nämlich.
    Sie war am Abemd abgeschlafft nach Hause gekommen und hatte sich sofort auf das schmale Bett geworfen, um auf der Stelle in einen unruhigen Schlaf hinüberzugleiten. Von einem gräßlichen Alptraum geplagt war sie schließlich erwacht. Sie hatte jenen Mann, den sie am Vormittag beim Yard identifizieren sollte, in Traumbildern gesehen. Plastischer als vor zwei Tagen in der Bank. Greifbar nahe.
    Und er hatte ein Henkerbeil über ihrem. Haupt geschwungen. Eine schreckliche Waffe mit Scharten in der Schneide und Reste von getrocknetem Blut am geschliffenen Stahl. Erwacht war sie endlich von ihrem eigenen Schrei. Sie hatte daraufhin Lads Gesellschaft gesucht, Seine Witzchen und seine nie versiegende Glanzlaune hatten die bösen Gedanken und Ängste wie erhofft vertrieben.
    Doch nun kamen sie wieder. Kaum, daß die Tür hinter dem jungen Mann ins Schloß gefallen war.
    Judy Pembroke seufzte.
    Vielleicht wäre es doch besser gewesen, Lad über Nacht bei sich zu behalten. Doch ihre Entscheidung war nicht mehr rückgängig zu machen. Bis aus dem Erdgeschoß hörte sie die Stimme von Mr. Lakenton, der laut hinter dem jungen Mann herschimpfte. Wie beabsichtigt hatte er mit seinem frivolen Singsang das halbe Haus aufgeweckt.
    Judy verriegelte gewohnheitsmäßig die Tür und hakte die Sicherheitskette ein. Im möblierten Zimmer roch es nach Lads Selbstgedrehten. »Stopfst du deine Glimmstengel mit Seegras?« hatte ihn Judy einmal gefragt.
    »Nur mit mindestens hundert Jahre abgelagertem«, hatte Lad Carner geantwortet und dabei sein entwaffnendes Jungenlächeln aufgesetzt.
    Das Mädchen ging auf das Fenster zu, um zu lüften. Bei dieser Luft würde sie nicht schlafen können.
    Sie bewohnte ein Apartment unter dem Dach. Zwei winzige Mansardenzimmerchen. Die Fenster wiesen auf einen tristen Hinterhof, den sie wegen des vorspringenden Dachs glücklicherweise nicht sehen konnte. Dafür

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