0094 - Das Grauen lauert in Soho
für irgendwelche Frühlingsgefühle zu dienen. Zamorra ahnte, daß die Zeit ungeheuer drängte, und seine Ahnungen kamen nicht von ungefähr.
Er war nicht nur anerkannter Wissenschaftler, belesener Forscher und Parapsychologe, der mit zahlreichen Werken an die Öffentlichkeit getreten war, die schon längst zur Pflichtlektüre für jeden angehenden Grenzwissenschaftler gehörten, sondern auch Dämonenjäger.
Keineswegs aus Passion.
Sein Schicksal hatte ihm diese Verantwortung auferlegt, und Professor Zamorra trug sie mit berechtigtem Stolz. Begonnen hatte alles, als er vor wenigen Jahren ein altes Château hoch über dem lieblichen Loiretal in Frankreichs sonnigem Süden erbte. Einst hatte es einem Urahn namens Leonardo de Montagne gehört. Er galt nicht nur in seiner Zeit als berühmter Magier und Alchimist. Sein Ruf hatte sich hinweggerettet bis in unsere Zeiten, denn Leonardo de Montagne war es, der das »Zauberamulett« in seinen Besitz gebracht und damit der weißen Magie gesichert hatte.
Professor Zamorra hatte auch dieses silberne Amulett geerbt, und damit den Auftrag, Dämonen, Geister aus dem Zwischenreich immer dort zu bekämpfen, wo er auf sie traf. Denn dieses geheimnisvolle Amulett verlieh ihm Macht über bös wollende Wesenheiten, die immer wieder wie unaustilgbares Unkraut wuchernd in eine sogenannte »aufgeklärte Welt« hinauswuchsen, wo ihr Einfluß immer noch gefährlich verkannt und ins Lächerliche gezogen wurde.
Er wußte es besser. Es gab ein Reich der Dämonen und Gespenster, ein Hort vergessener Götter und Götzen, ein Gefängnis, vollbesetzt mit Kreaturen, an die Maßstäbe rationaler Denkensweisen nicht mehr angelegt werden konnten, weil die von den hochgelobten Naturwissenschaften etablierten Denkschablonen für sie keine Gültigkeit hatten. Dämonen waren anderen Gesetzmäßigkeiten unterworfen als sie in den Schulen gelehrt wurden.
Und deshalb hatte Professor Zamorra es so schwer. Er kämpfte nicht nur gegen widernatürliche Kreaturen, sondern auch gegen die Ignoranz seiner Mitmenschen, die ihre Augen auch vor Tatsachen fest verschlossen, die schon greifbar und aktenkundig geworden waren.
Der Überfall auf die Chelsea Filiale der Barrel Trust Bank war so eine Tatsache. Sämtliche Scotland-Yard-Spezialisten würden sich daran die Zähne ausbeißen, und John Sinclair, der Geisterjäger, befand sich zur Zeit nicht in London.
Kurz dachte er an Lady Kensington. Ihr war es zu verdanken, daß er auf ein paar Tage vom Kontinent auf die Insel gekommen war. Er wollte der alten Dame, die einen eigenen spiritistischen Zirkel leitete, einen Gefallen erweisen, denn sie hatte den beachtlichen Betrag von 20 000 Pfund gespendet, mit dem die Einrichtung einer parapsychologischen Fakultät an einer amerikanischen Privat Universität mitfinanziert werden sollte. Lady Kensington hatte es auch organisiert, daß Professor Zamorra zu dem Sommernachtsball auf Gienmore Castle geladen wurde, den er jetzt in rasender Fahrt verließ.
Er drehte sich um und schaute durch die Heckscheibe. Der Polizeiwagen fiel ständig ab. Londons Cops mußten sich mit den untermotorisiertesten Kutschen Europas abquälen.
Der Westham Boulevard endete am Victory Square. Ein vierkantiger Obelisk stach in den Nachthimmel. Nicole bog regelwidrig rechts in den Kreisverkehr ab. Der Gummi eines halben Reifens blieb auf dem Asphalt. Jämmerliches Kreischen ließ die Bewohner der anliegenden Häuser steil aus ihren Betten fahren. Dann mit Vollgas hinein in die Waterloo Road, von der die Meldon Street abzweigte. Weit abgeschlagen folgte der Streifenwagen. Das Heulen der Sirenen ging im Quietschen der Citroën-Bremsen unter.
Zamorra sprang aus der schwarzen Limousine.
»Beschäftigte dich mit den Bobbys!« rief er Nicole noch zu. »Halte sie auf.«
Dann stürmte er auch schon auf das Haus zu, in dem angeblich Judy Pembroke wohnte.
Vom Dach herunter tönte ein gellender Schrei.
***
Judy Pembroke hörte weder das das Sturmläuten an ihrer Wohnungstür, noch war sie fähig, das Fenster zu schließen. Sie stand wie angewurzelt und sah der Gestalt zu, wie sie näherkam.
Nur noch das Dach eines einzigen Hauses lag zwischen ihr und dem rotbärtigen Mann aus der Bank. Das Dach lag etwas tiefer als das, unter dem das Mädchen wohnte.
Der Räuber im besudelten Trenchcoat sprang hinab wie eine Katze, landete mit traumwandlerischer Sicherheit auf dem First und balancierte aus. Judy Pembroke verlor ihn kurz aus den Augen.
Endlich gelang
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