0094 - Das Grauen lauert in Soho
verschwinden sehen. Sie wußte also, wo sie die beiden suchen mußte.
»Wir müssen Ihnen das Buch Chatelneau nachbringen«, sagte sie entschlossen. »Trinken Sie ganz schnell aus, Norna?«
Nicole ließ den Rest des Espressos stehen. Nicht einmal schweren Herzens, denn sie war bereits wieder voller Tatendrang. Wie immer, wenn sie glaubte, ihrem Chef und Geliebten entscheidend helfen zu können.
Manchmal allerdings hatte sie sich und Zamorra durch solche ungezielten Einzelaktionen schon in tollste Gefahren gestürzt. Wenn es jeweils so weit war, dachte Nicole Duval nicht sonderlich darüber nach. Sie war ein äußerst impulsives Wesen. In allem, das Weibliche betreffend, sagt man wohl kapriziös dazu, was ja auch nur eine in gewissem Maße höfliche Umschreibung einer ganz spezifischen Art von Unberechenbarkeit bedeutet.
Norna nahm noch ihren letzten Schluck und ließ sich von der Französin hinaus auf die Straße ziehen. Der Kellner rief die beiden Damen nochmals zurück, weil beide in der Eile zu zahlen vergessen hatten.
Dann jedoch gab es kein Halten mehr.
In Sekundenschnelle war Nicole Duval am Wagen, hatte sich Jakes Aktenkoffer geschnappt und befand sich schon in der Straße, nach der Zamora und Jake Brabham so lange vergeblich gesucht hatten.
Zu einer Souterrainwohnung stand die Tür offen. Daneben im Fenster Kräuter und Schälchen, die Nicole nur wenig sagten. Der Schuß im Inneren des Gebäudes sagte ihr viel mehr.
***
Der Malaie Kurulu war zweifellos ein schneller Schütze. Doch zu Zamorras Glück erwies er sich als miserabler noch dazu.
Die Kugel drang fast eine halbe Armlänge an Zamorras Kopf vorbei in die Wand, wo sie in einer gestickten Gobelinfigur ein drittes Auge mitten auf der Stirn hinterließ.
Gleichzeitig ließ sich Zamorra fallen. Die Pistole, die er in der letzten Nacht vergeblich eingesetzt hatte, jetzt hätte er sie gerne aus der Tasche gezogen. Doch er war unbewaffnet gekommen.
Im Gegensatz zu Jake Brabham, der auf eine Sakkoartillerie nicht verzichtet hatte. Er riß eine Parabellum heraus, als der Verputz von den Wänden den Boden noch nicht erreicht hatte.
Weil er sich gleichzeitig fallenließ, fehlte er. Das Projektil aus seiner Kanone flappte mit einem häßlichen Geräusch in den Türbalken oberhalb Kurulus Kopf.
Der Kanake zeigte keinen übertriebenen Ehrgeiz, sich mit Jake Brabham oder Professor Zamorra weiter anzulegen. Er gab Fersengeld.
Brabhams nächster Schuß traf nur mehr die Wand, vor der der Malaie noch einen Sekundenbruchteil vorher gestanden hatte.
Dann ein Gezeter vom Eingang her. Ein Patschen, von dem Zamorra nicht wußte, daß Nicole es verursacht hatte, als sie dem völlig verdutzten Kosmo-Apotheker Jakes Aktentasche mitten ins Gesicht geknallt hatte. Danach eine Reihe undefinierbarer Geräusche und das Hasten von Männertritten über Kopfsteinpflaster. Wütende, spitze Schreie von Nicole. Die erkannte Professor Zamorra wieder.
Kurz darauf sah er seine Sekretärin auch ins Zimmer kommen. Mit hochrotem Kopf, wirrer Frisur und erklärtem Mordwillen im Gesicht.
Für ihren Chef hätte sie alles gemacht.
»Wenn du ihn noch einholen willst, mußt du laufen«, sagte sie. »Mehr als zwanzig Meter Vorsprung hat er keinesfalls. Du willst laufen?«
Zamorra entwand dem ratlos herumstehenden Jake Brabham schon die Parabellum.
»Ich werde laufen wie noch nie in meinem Leben«, sagte Zamorra und spurtete los.
***
Er sah Kurulu gerade noch in jene Gasse huschen, durch die sie hergefunden hatten. Der Polynesier rannte, als seien zehn Teufel hinter ihm her.
Zamorra fragte sich vergebens danach, was sie falsch gemacht hatten. Anfangs hatte Kurulu durchaus den Eindruck gemacht, als wäre er zu einem Gespräch bereit.
Doch im Augenblick war es müßig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Zamorra verlor den Kanaken bereits wieder aus dem Blickfeld, sah ihn erneut, als auch er das Ende der Gasse erreicht hatte. Kurulu bog in die Grove Street ein, hastete weiter und sah sich dabei einmal um.
Er stieß mit einem anderen Passanten zusammen, beide kamen ins Stolpern, und Professor Zamorra triumphierte bereits.
Zu früh, wie sich gleich darauf zeigen sollte. Wieselflink kam Kurulu wieder auf die Beine. Diesmal sah er sich nicht mehr um. Zielstrebig steuerte er einen parkenden Wagen an. Einen unscheinbaren grauen Austin, wie sie zu Zehntausenden die Straßen Londons verstopften.
Schon brummte der Motor auf, und das Gefährt setzte sich in Bewegung. Zamorra spurtete
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