0094 - Das Grauen lauert in Soho
Medikamente aus westlichen Chemieküchen feilgeboten sondern Mittel und Mittelchen der in diesen Landstrichen noch weitverbreiteten kosmomagischen Medizin wie der Ajurveda oder der Kantara, die vielerorts bei den Einheimischen einen größeren Zuspruch genießt als Arztpraxen, die mit nach westlichem Standard ausgebildeten Doktoren besetzt sind.
Dort schluckte man bei Kopfschmerzen kein Aspirin sondern ein Pulver aus zermahlenen Haifischzähnen, man nahm kein Valium bei Erregungszuständen sondern inhalierte den Duft diverser Räucherstäbchen. Und wollte man ein Mädchen für sich gewinnen, dann machte man ihm nicht den Hof, sondern versuchte, ihm zerstoßenes Nashornbein beizubringen, was einem die Gunst des geliebten Mädchens für alle Zeiten sichern sollte.
Zamorra war nicht sonderlich erstaunt, mitten in London auf ein derartiges Geschäft zu stoßen. Ähnliche Läden gab es auch in der China Town New Yorks und San Franciscos, in den Grachten Amsterdams und Antwerpens, sogar in Marseille und überall sonst, wo europäische Städte exotische Völkerschaften aufgesaugt hatten.
Der Dämonenjäger spürte, daß er auf eine brandheiße Spur gestoßen war. Er konnte seine plötzliche Erregung kaum unterdrücken, als er seinen Daumen auf den Klingelknopf drückte, denn eine Klinke gab es nicht zur Tür, vor der er stand.
Aus dem Inneren des Hauses vernahm er einen melodischen Gong. Kurz darauf hörte er das Schlurfen von Pantoffeln über einen Pflasterboden. In der oberen Hälfte der Tür wurde ein Guckloch von den Ausmaßen einer größeren Briefmarke geöffnet. Das einzige, was Zamorra sehen konnte, war ein in braune Hautfalten eingebettetes Auge, das mißtrauisch und neugierig zugleich zu ihm herausstarrte.
Ein Schlüssel drehte sich knirschend im Schloß. Die Tür ging nur einen winzigen Spalt breit auf.
»Sie wünschen, Sir?« tönte es ihm in makellosem Englisch entgegen. Das Guckloch klappte zu.
»Eine Reklamation«, antwortete Professor Zamorra. Er gab die Sicht auf Jake Brabham frei, den er bisher mit seinem Körper verdeckt hatte. »Würden Sie bitte aufmachen, Mister Kurulu?«
Eine Vorhängekette wurde klirrend ausgehakt. Ein brauner, krausköpfiger Schopf schob sich in den sich geringfügig verbreiternden Spalt.
»Eine Reklamation?«
Jake Brabham erwies sich als äußerst geistesgegenwärtiger Mann. Ohne daß Zamorra ihm seine Rolle hätte gesondert eintrichtern müssen, schaltete er richtig.
»In der Tat«, sagte er und nahm den Platz an der Tür ein, den Professor Zamorra ihm bereitwillig räumte, »Sie haben mich vergangene Woche betrogen, mein Freund. Um tausend Pfund, um genau zu sein. Diese Summe knöpften Sie mir für ein paar wertlose Blätter Papier ab. Tausend Pfund sind aber nun mal eine Menge Geld.«
»Jake?« klang es unsicher aus der Tiefe des Gangs, der sich hinter der Tür ins Gebäude zog.
»Ganz richtig«, antwortete Norna de Brainvilles Verlobter in phantastisch gespielter unterdrückter Wut. »Ich bin Jake Brabham, und du hast mich angeschmiert, Kurulu. Tut man das mit Freunden? Wenn du keine Erklärung parat hast, überlege ich mir ernsthaft, ob ich dir nicht den Schädel einschlage.«
Der Mann hinter der Tür zögerte noch. Er konnte ganz offensichtlich Jakes Begleiter nicht richtig einordnen. Denn wie ein Schläger, den man sich als Verstärkung mitnimmt, um eine Meinungsverschiedenheit mit der Faust für sich zu entscheiden, sah Professor Zamorra wirklich nicht aus.
»Nun mach schon, Kurulu«, drängte Jake Brabham. »Es ist verdammt kalt hier. Ich reiße dir den Krauskopf schon nicht ab. Du kannst diesen gedruckten Unsinn mit einem angeblichen Text angeblicher alter Khmer aus einer angeblichen alten Tempelstadt irgendwo im Nirgendwo ja wiederhaben. Ich pfeife darauf. Aber auf die tausend Pfund, die du mir abgeknöpft hast, auf die kann ich nicht pfeifen. Wir verstehen uns? Natürlich kann ich auch die Ausländerpolizei auf den Plan rufen und…«
»Schon gut, schon gut, Jake. Komm herein. Aber der Fremde…«
»Ein guter Freund von mir«, schnitt ihm Jake Brabham das Wort ab. »Vor ihm brauchst du keine Angst zu haben. Eher schon vor mir.«
Der Kanake seufzte hörbar auf. Dann endlich öffnete er die Tür. Er musterte Zamorra, konnte bei dieser Beluchtung jedoch nur seine Silhouette erkennen. Dann fügte er sich endgültig in sein Schicksal, das ihm vormittags gegen zehn Uhr zwei ungebetene Besucher beschert hatte.
»Kommt beide herein«, sagte er. »Aber mein
Weitere Kostenlose Bücher