0094 - Das Grauen lauert in Soho
töten, wenn er in ihre Hände fiel. Sie würden ihm die Haut in Streifen schneiden und all das mit ihm machen, was seine schlimmsten Phantasiebilder ihm bereits vorgegaukelt hatten.
Deshalb steckte Kurulu seine Nase so tief in den Dreck. Er wollte sich so klein wie möglich machen und wünschte sich ans Ende der Welt. Sein Blut pochte so laut in den Schläfen, daß er das Gefühl hatte, seine Verfolger müßten das quälende Trommeln hören, als würde auf eine Pauke gehauen. Nur mehr wenige Meter und ein dünner grüner Blättervorhang trennten sie voneinander.
Kurulu hatte nicht einmal mehr ein Messer, mit dessen Hilfe er sich selbst einen gnädigen Tod hätte bereiten können.
Das Geschnatter ihrer Stimmen kam nah und näher. Er verstand ihre Worte.
»Hier ist er entlanggerobbt. Die Furche im Boden hat sich noch nicht mit Wasser gefüllt. Wir haben diesen Hund. Wir werden ihn zerstückeln, diesen räudigen Bastard.«
In diesem Augenblick verließen Kurulu endgültig die Nerven. Mit der Kraft, die einem ein letztes Aufbäumen der Verzweiflung verleiht, sprang er hoch. Sie mußten ihn jetzt bemerken. Wilde, heisere Schreie der Todesangst ausstoßend schlug er sich in ein Farngestrüpp, spürte seine zerkratzten und von Mosquitos zerstochenen Beine nicht mehr. Er kannte kein Ziel mehr, hatte keine Hoffnung. Er wollte nur laufen, rennen, weiterhetzen. Vielleicht ließ einer der Roten Khmer sich verleiten, ihm eine Kugel in den Busch nachzuschicken, und vielleicht traf die Kugel noch so gut, daß diese Höllenpein ein Ende hatte.
Vor Kurulu eine kleine Lichtung. Ein mannshoher, grasbewachsener Hügel in der Mitte. Er erklomm ihn auf allen vieren, ließ sich auf der anderen Seite wieder hinabrollen. Er versuchte erneut auf die Beine zu kommen, als die Erde unter ihm nachgab und sich öffnete.
Er fiel, und diese Zeit des Fallens schien ihm endlos, bis er schmerzhaft daran erinnert wurde, daß dieser Fall so tief gar nicht gewesen sein konnte. Dumpfes Grün leuchtete von oben durch das Loch herab, in das er eingebrochen war. Der Lauf einer chinesischen MP schob sich in die Öffnung, darüber ein gelbhäutiges Gesicht mit hochangesetzten Wangenknochen, eine Mütze verwegen schräg in die Stirn gezogen.
Der Mann dort oben konnte hier unten nichts erkennen. Ratlosigkeit stand in seinen Augen.
Kurulu kroch weiter. Denken konnte er kaum mehr. Sein Verstand begann erst wieder zu arbeiten, als er sah, daß von oben ein Seil herabgelassen wurde. Kurz darauf folgten ganze Büschel nassen Grases. Plötzlich stank es nach Petroleum. Ein weiteres, diesmal brennendes Grasbüschel fiel herunter und steckte auch das andere in Brand. Kurulu konnte sich zurechtfinden. Ihm kam zugute, daß sich dunkle Qualmwolken der Öffnung über ihm entgegenwölkten und so den Roten Khmer die Sicht versperrten.
Das war auch der Moment, in dem Kurulu zum ersten Mal jene Stimme in seinem Inneren vernahm. Jene Stimme, die ihn seither nicht mehr losließ und ihn zum Hohenpriester Sustras weihte.
So hatte der versunkene Dämonengott sich genannt.
Sustra…
Kurulu war in Sustras irdischen Tempel eingebrochen.
Noch in derselben Nacht kam ein Trupp Roter Khmer im Dschungel nahe der kambodschanischen Grenze auf nicht weniger grausame Weise um, als sie drei Tage einige flüchtige Vietnamesen vom Leben zum Tode befördert hatten.
Ein Unrecht hatte seinen Ausgleich, gefunden, und gleichzeitig war der Nährboden für eine Serie gräßlicher und unglaublicher Verbrechen gelegt worden, die sich weitab im fernen London ereignen sollten…
Kurulu setzte seinen Fuß in die Gruft, die er dem Dämonengott in der Abgelegenheit eines stillgelegten Docks geschaffen hatte.
***
Professor Zamorra hatte keine Schwierigkeiten, bis zum Krankenzimmer Judy Pembrokes vorzudringen. Dort allerdings stand ihm ein unübersehbares Hindernis in Gestalt eines zweimeterhohen Polizeisergeanten entgegen, der ihn mit verschlossener Miene musterte.
»Niemand erhält hier Eintritt«, sagte er mit brummigem Baß, noch ehe Zamorra sich vorstellen konnte, und widerlegte damit zumindest für seine Person die Mär vom ewig freundlich lächelnden Londoner Bobby.
»Aber das ist doch Miß Pembrokes Zimmer?« fragte Professor Zamorra unschuldig und ließ den Blumenstrauß sehen, den er in einem Laden unten in der Halle gekauft hatte.
Der Blick des Sergeanten bekam etwas Verdutztes. Er legte seine Stirn in angestrengte Falten und nickte. Zamorras sicheres Auftreten brachte ihn aus dem
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