0094 - Schreie im Schreckenshaus
meistens größere Einkäufe für die Lady tätigte, und umfuhr ihn an der Westseite. Jetzt waren es nur noch neun Meilen bis nach Cold Plains, dem Dorf mit dem eigenartigen Namen.
Der Ort lag ungeschützt inmitten einer Ebene, über die stetig der Wind pfiff.
Es war kein Vergnügen, in Cold Plains zu wohnen. Deshalb bekam man die Grundstücke auch fast geschenkt.
Die Straße war schmal. Man konnte nie schneller als dreißig Meilen fahren, denn zahlreiche Kurven zwangen dazu, die Geschwindigkeit niedrig zu halten.
Das Gras der Felder zu beiden Seiten der Fahrbahn war braun vom Frost. Wagen begegneten dem Girl nur wenige. Wer fuhr schon nach Cold Plains? Und dann noch im Winter.
Linda rauchte wieder und blies den Qualm gegen die Frontscheibe, wo er zu langen Bahnen auslief und vom Gebläse durcheinandergewirbelt wurde. Das Girl nahm sich vor, ihrem Vater die Meinung zu sagen, wenn sie am Ziel war.
Cold Plains!
Das Ortseingangsschild war noch gut erhalten. Was man von den Häusern nicht behaupten konnte.
Bald rumpelten die Reifen über Kopfsteinpflaster, und kurz vor der Ortsmitte bog Linda in einen schmalen Weg ein, der direkt zu dem Gut führte, das am anderen Ortsende lag.
Einige blattlose Bäume wirkten so, als hätten sie sich nur in diese Gegend verirrt. Mit ihren kahlen Zweigen und Ästen sahen sie aus wie knorrige Gespenster.
Weiter vorn sah das Mädchen einen hellen Lichtfleck.
Das war schon das Gut.
Linda atmete auf. Geschafft. Zwei Minuten später hielt sie vor dem einstöckigen, langgestreckten Gebäude mit dem vorgezogenen Reetdach. Hinter zwei Fenstern im Erdgeschoß brannte Licht. Die Fenster waren klein und jeweils in vier Quadrate unterteilt.
Lady Gowan hätte die Ankunft des Wagens mitbekommen und verließ ihr Haus.
Sekundenlang blieb sie auf der Türschwelle stehen, von aus dem Haus fallendem Licht umspielt.
Ja, sie sah aus wie immer. Sie trug ein langes violettes Kleid, graues Haar, im Nacken verknotet, eine schwarze Stola um die mageren Schultern und hatte das faltige hagere Gesicht mit den sichelförmigen Augen leicht verzogen.
Linda stieg aus. »Puh, war das eine Fahrt«, stöhnte sie. »Noch einmal möchte ich in dieser Nacht nicht raus.«
Die Lady erlaubte sich ein Lächeln. Dann fragte sie: »Haben die Männer alles erreicht, was ich ihnen aufgetragen hatte?«
»Ich weiß es nicht!«
Lady Gowan riß die Augen auf. »Wieso nicht?«
Linda Brown hob die Schultern. Sie fror im Gegensatz zu der wesentlich älteren Frau, der die Kälte überhaupt nichts auszumachen schien. »Ich habe meinen Vater und seinen Freund nach ihrer Rückkehr noch nicht gesehen. Aber es ist jemand im Wagen. Sie werden so eingestiegen sein, daß ich sie nicht sehen konnte.«
»Woher wissen Sie dann, daß es Ihr Vater und Curly waren?« erkundigte sich die Lady.
»Weil ich jemand sprechen hörte.«
»Gehen Sie ins Haus!« befahl Lady Gowan.
»Ja aber ich wollte doch…«
»Geh!«
Wenn sie so sprach, duldete sie keinen Widerspruch, das wußte Linda. Dumme Pute, dachte sie, gehorchte jedoch. Sie wollte sich und vor allen Dingen ihrem Vater keine Schwierigkeiten machen.
»Und bleiben Sie auf Ihrem Zimmer«, rief die Lady ihr noch nach, als sie die Schwelle überschritt.
Vom Erdgeschoß aus führte eine Treppe im Halbkreis nach oben, wo die Schlaf- und Baderäume lagen. Linda kannte sie alle, auch die Räume im Erdgeschoß, nur in den Keller hatte die Lady sie nie gehen lassen.
Linda war sogar, davor gewarnt worden.
Leichtfüßig lief sie die Stufen hoch. Ihre beiden Zimmer lagen zwar zur anderen Seite hinaus, doch Linda dachte gar nicht daran, sich dorthin zu bewegen. Sie wollte in eines der Zimmer gehen, dessen Fenster zur Vorderseite wiesen.
Oben wandte sie sich nach rechts. Sie warf noch einmal einen Blick in die Halle, sah das Feuer im Kamin und auch die Schatten, die die tanzenden Flammen über den Boden warfen.
Ein romantisches Bild.
Linda öffnete die erste Tür. Es war das Ankleidezimmer der Lady. Allein hatte Linda sich noch nie hinein getraut, jetzt betrat sie es im Dunkeln. Sofort fiel ihr der modrige Grabgeruch auf.
Über ihren Rücken rieselte eine Gänsehaut.
Sie schüttelte sich und huschte auf Zehenspitzen bis zum Fenster. Mit zwei Fingern schob sie die schmale Gardine zur Seite und schaute hinaus.
Unten stand der VW-Bus. Mit offener Hecktür. Demnach waren ihr Vater und dessen Freund schon ausgestiegen. Doch warum zeigten sie sich nicht? Diese Frage beschäftigte das
Weitere Kostenlose Bücher