Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0096 - Die Seelenfänger

0096 - Die Seelenfänger

Titel: 0096 - Die Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhart Hartsch
Vom Netzwerk:
ihn.
    Es war, als öffneten sich die Mauern des Turmes. Ungehindert pfiff der Wind herein.
    Mit dem Mann unter der Bocksmaske ging eine grauenvolle Veränderung vor sich. Seine Hand, die zur Kehle zitterte, als bekomme er keine Luft mehr, schmolz förmlich dahin. Erst lösten sich die Finger auf, dann der Arm. Zurückblieb trockene Haut, die raschelnd zu Boden taumelte wie eine ausgediente Natternhaut.
    Das Fleisch verfiel zu Staub. Zu einem grüngelben Gemisch, das unter jedem Windhauch davonflog, sich über den Altarblock verteilte und überall, wo es hingelangte, eine Kettenreaktion auslöste.
    Die gelben stummen Gestalten, die im Kreis den Meister umgeben hatten, verloren die Umhänge. Der Wind trug sie davon. Skelette hockten in den prächtigen altertümlichen Stühlen. Spinnen hatten in leeren Augenhöhlen ihre Netze gewoben. Ringe saßen an mumifizierten Gliedern. Bleiche Zähne bleckten sich in braunen Knochenschädeln. Dünne weiße Greisenhaare flatterten in dem Wind wie die Fahne der ewigen Niederlage.
    Der Zeremonienmeister aber sank zusammen. Unter grauenhaften Qualen zerfiel sein Leib. Schmolz dahin wie Schnee an der Sonne. Sank aus dem Ledersitz, langte am Boden an, verfiel zusehends.
    Übrig blieb auch hier nur Staub, der davongeweht wurde.
    Jetzt aber zeigten sich erste Risse im Monolith. Der Stein barst. Erst waren es feine Haarrisse, die sich ständig, lautlos verbreiterten.
    Erste Brocken fielen herunter.
    Der Altar löste sich auf.
    In der Tiefe aber wurde ein Grab sichtbar. Jahrhundertealter Staub wallte auf.
    Zamorra trat zur Seite, sobald er auf ebener Erde angekommen war.
    Verschwunden der Basaltblock. Verschwunden der Thron. Verschwunden die Versammlung toter Seelen dort oben.
    Zamorra warf einen Blick in die Gruft, die sich aufgetan hatte.
    In prächtigen Gewändern ruhte dort ein Toter, verflucht bis zum Jüngsten Gericht. Denn er war in der Bauchlage beigesetzt worden. Ahnherr dieser teuflischen Sekte.
    »Hilf ihm!« bat Nicole. »Oder soll ich es tun?«
    »Du rührst dich nicht von der Stelle«, befahl Zamorra erschrocken.
    Über ihm, in der Kuppel, taten sich Breschen auf. Mondlicht stahl sich herein. Die Szene erfuhr eine grausige Steigerung. Bleiches Licht umspielte in silbernen Kringeln die sterblichen Überreste des siebenten Sohnes eines siebenten Sohnes.
    Der Kasten mit dem unbekannten Stein, der zunächst auf dem Altar gestanden hatte, war heruntergefallen. Lag neben dem Toten. Eine der dreizehn Spangen hatte sich von selbst geöffnet.
    Zamorra wußte, daß der Bann erst gebrochen war, wenn er den Kasten öffnete und den verderbenbringenden Stein vernichtete.
    Auf die gleiche Art, wie er vorher die Großmeister der verrufenen Sekte atomisiert hatte. Nur das Amulett konnte ihm helfen, die Pforten der Hölle zu überwinden, dem Spuk ein Ende zu bereiten und das Dorf zu befreien aus den Klauen des Verderbens.
    »Geh nicht!« schrie Nicole ängstlich.
    Sie machte Miene, zu Zamorra zu laufen und ihm in den Arm zu fallen. Nicht, um seine Arbeit zu behindern, sondern aus Angst um sein Leben. Das Böse war keineswegs besiegt. Auch Nicole hatte erkannt, daß die schwerste Machtprobe noch bevorstand. Das Duell mit diesem geheimnisvollen Fremden, der vor vielen Jahrhunderten in dieser Gruft beigesetzt worden war. Unter höllischen Riten und Beschwörungen. Unter magischen Sprüchen und Schutzformeln, wie sie seit den Zeiten der Pharaonen gang und gäbe waren.
    Zamorra unterschätzte diese Kräfte nicht, die da gebannt worden waren und nur darauf warteten, daß ein Unberufener sie auslöste. Er kannte die Geschichten verderbenbringender Zauberformeln, die Königsgräber wirksamer geschützt hatten, als man annehmen sollte.
    Niemand hatte jemals die Namen derjenigen festgehalten, die bei dem Versuch, die Totenruhe zu stören und sich an den Grabbeigaben zu bereichern, auf der Strecke geblieben waren. Elend umgekommen. Entweder in den Kammern selbst oder später. Auf unerklärliche Weise dahingesiecht. Verunglückt oder auch einfach zu Tode gekommen.
    Für die unmittelbar Beteiligten der Sekte schien bereits das gräßliche Ende des Meisters in der Bocksmaske befreiende Wirkung gehabt zu haben. Sie drängten näher, starrten in die Gruft. Betrachteten das Mysterium, das nur dem inneren Zirkel bekannt war. In das einfache Angehörige der Sekte niemals eingeweiht worden waren.
    Ihre Erleichterung, das, was sie jetzt plötzlich als Fluch und Schande, als Bürde und Last empfanden, wich der Wut.

Weitere Kostenlose Bücher