0096 - Die Seelenfänger
Nicole machte jemand einen Stuhl frei, schnupperte das Parfüm der reizenden Französin und verdrehte begeistert die Augen. Eine Aktion, die ihm den atemlosen kichernden Eeifall seiner Zuschauer eintrug und einen tomatenroten Kopf. Er zog sich schnell zurück.
Nicole betrachtete nicht ohne Widerwillen den Tisch, auf dem sich die Reste einstiger Gelage und Futterorgien allzu deutlich abzeichneten. Er gab keine Blumen darauf und kein Tuch.
Donovan hatte Mühe, zwei Teller durch die Menge zu balancieren. Der Laden war gerammelt voll. Und doch drängten sich draußen auf dem Flur noch Neugierige, die keinen Platz gefunden hatten, um wenigstens von ferne einen Blick auf das ungewöhnliche Paar zu werfen, das unter so ungewöhnlichen Umständen Daunton erreicht hatte.
»Ihr Essen«, meinte Basil Donovan beiläufig und setzte das Geschirr hart auf den roh zusammengezimmerten Tisch.
Ein wenig mißtrauisch starrte Professor Zamorra auf die Chips und die Spiegeleier, die wie gesprenkelt aussahen vor lauter Cayennepfeffer.
Während sie aßen, schaute ihnen die Schar der Dorfbewohner zu. Leise Bemerkungen wurden ausgetauscht über Aussehen, Tischmanieren und vermutliche Ziele der Gäste. Ganz ungeniert. Immer laut genug, um die Ohren der Neuangekommenen zu erreichen.
Demnach war nicht der Wirt allein fremdenfeindlich.
»Warum mögt ihr uns nicht?« fragte Zamorra seinen Nachbarn direkt.
Der Blick der blaßblauen Augen schweifte keinen Millimeter ab, während der Mann seine Antwort formulierte.
»Wir sind es nicht gewöhnt, Besuch zu bekommen«, meinte der Alte. Seine Hand mit den schmutzigen Fingernägeln schabte über die weißen Bartstoppeln an seinem Kinn. Er hatte eine hohe Stimme.
»Um so mehr solltet ihr euch freuen, wenn jemand auftaucht. Vielleicht ist das der Anfang einer ganzen Invasion. Daunton wird aufblühen. Ihr alle werdet steinreich. Es gibt Beispiele.«
Der Alte winkte ärgerlich ab.
»Wir haben, was wir brauchen. Wir wollen gar nicht mehr. Fremde stören uns nur. Ich bin froh, daß wir hier so abgeschieden leben. Wir kennen es gar nicht anders. Übrigens, mein Name ist Angus Marwick.«
»Zamorra«, meinte der Professor und deutete eine Verbeugung an, die nicht auf Verständnis stieß. Marwick kicherte verlegen und lief rot an.
»Sie sind kein Brite, wie?« fragte er nach einer Pause.
»Nein, ich lebe in Frankreich. An der Loire, wenn Sie die Gegend kennen. Ein wunderschönes Tal, übrigens. Mit vielen Schlössern.«
»Ich bin nie aus Daunton herausgekommen. Die anderen auch nicht«, brummte Marwick in einem Ton, als sei ihm jemand zu nahe getreten.
»Sie wollen doch nicht behaupten, daß nie jemand Daunton verläßt? Ich sehe aufallend wenige Jugendliche. Wie kommt das?«
Zamorra beendete sein Mahl. Vor einer Wiederholung graute ihm bereits jetzt. Wenn weder die Teufelsanbeter es schafften, ihn aus Daunton zu vergraulen oder die Unhöflichkeiten des Wirtes — das Essen konnte ihm mit Sicherheit den Aufenthalt in dem von der Umwelt abgeschnittenen, schottischen Gebirgsdorf verleiden. Er war Feinschmecker und aß niemals nur, um einer Pflicht zu genügen und sich zu sättigen. Er wollte stets auch genießen. Sicher ein frommer Wunsch bei den Kochkünsten in Donovans Hotel.
»Die Jungen sind weg. In die Ölfelder. Oder nach London. Sie sind geflüchtet, verstehen Sie? Sie kommen niemals zurück. Nicht einmal zu Besuch«, berichtete Marvick stockend. Es war, als ringe er mit den Worten. Er wollte nicht anecken. Die anderen hörten zu wie Zensoren. Erst, wenn sie zustimmend nickten, machte sich der alte Mann an den nächsten Satz.
»Bin ich der erste Fremde in diesem Jahr?« forschte Zamorra.
Damit brachte er Angus Maveriek ganz schön in Verlegenheit. Der Schotte druckste herum. Seine Blicke suchten den Kontakt mit den anderen.
»Ja«, sagte er schließlich.
»Dann kennen Sie keinen Bill Fleming?«, stieß Zamorra nach. »Er ist Historiker und hat sich mit Themen der schottischen Geschichte und der Königshäuser herumgeschlagen. Er muß in dieser Gegend gewesen sein, wenn der Fundort, den er angibt, stimmt.«
»Was für ein Fundort?« erkundigte sich Marvick hitzig und bekam große Augen. Seine Hände zitterten.
Zamorra griff in die Tasche und legte eine bizarre Figur auf den Tisch. »Dies ist ein Tetramorph«, erklärte er.
»Sieht aus wie die Darstellung eines Wesens mit vier Flügeln und vier Köpfen«, murmelte Marvick. Seine Stimme zitterte.
Die übrigen Zeugen der Unterhaltung
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