0098 - Im Labyrinth der grünen Henker
Nicole Duval von einem grünen Henker entführt worden war?
***
Zamorra tigerte im Hotelzimmer auf und ab, die Hände auf dem Rücken. Er war ein großer, sportlich durchtrainierter Mann in den besten Jahren, kein bleicher Stubenhocker mit Puddingmuskeln. Zamorra hatte ein markantes Gesicht, dunkles Haar und angegraute Schläfen. Sein Blick besaß etwas Zwingendes, und seine ganze Person strahlte Autorität und Selbstsicherheit aus.
Joao da Costa hatte sich an den Tisch im Doppelzimmer gesetzt. Bill Fleming stand da wie ein begossener Pudel.
»Stauch mich nur zusammen, Zamorra«, sagte er niedergeschlagen. »Nicole ist vor meinen Augen entführt worden, ich konnte es nicht verhindern. Ich habe versagt.«
»Dich trifft keine Schuld, Bill. Du hast getan, was du konntest. Sieh nur dein Gesicht an.«
Bill Fleming hatte nach der Schlägerei mit den beiden Negern ein blaues Auge.
Es war Abend, die Sonne war im Meer versunken. Der kurzen Dämmerung würde rasch die Dunkelheit folgen. Evita Arajo stand draußen auf dem Balkon und schaute auf den Atlantik hinaus, dessen Wasser weit draußen rötlich glühte, von letzten Widerschein der Abendsonne.
»Ein Polizeioffizier hat mich in der Hotelhalle angesprochen, nachdem ich herumtelefoniert hatte, um dich zu erreichen, Zamorra«, sagte Bill Fleming. »Er stellte aber nur einige Fragen und verabschiedete sich bald wieder. Anscheinend wurde wegen Nicoles Verschwinden doch die Polizei alarmiert. Aber auch sie will nichts mit den dämonischen Mächten zu tun haben, die den Macumba-Kult übernehmen wollen.«
»Bei Ogun nicht«, sagte da Costa bitter. »Innerhalb weniger Tage hat sich alles gewandelt. Vorher war die Macumba eine Macht im Land und angesehen. Bekannte Politiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gehörten zu den Kultanhängern. Jetzt haben alle Angst. Bald wird die Macumba verrufen sein, werden statt der guten Götter, die den Menschen halfen, wenn sie auch manchmal Launen hatten, dämonische Mächte nur noch Angst und Terror verbreiten.«
Es klopfte an der Korridortür. Als Bill Fleming öffnete, stand ein Hotelpage draußen. Er reichte Bill ein Briefkuvert und erhielt einen halben Cruzeiro als Trinkgeld.
›Professor Zamorra, Zimmer 1203‹ stand auf dem weißen Kuvert.
Zamorra öffnete es und holte einen Briefbogen heraus. Er las laut vor.
»Wenn du Nicole Duval lebend Wiedersehen willst, komm um Mitternacht zu Pedro Fonseca in der Rua Maranhao in Bôca do Mato. Mit nicht mehr als zwei Begleitern. — Ende des Textes. Eine Unterschrift trägt der Schrieb nicht, aber es ist so etwas wie eine Klaue daruntergemalt.«
Da Costa nahm den Briefbogen.
»Die Drachenklaue, das Siegel des Cumbacho. Der Name Pedro Fonseca ist mir ein Begriff. Er wohnt in einem Slum und ist eine Art Hexenmeister. Es gab schon immer Verblendete, die Cumbacho verehrten, den Drachen der Finsternis, und in seinem Namen ihre üblen Riten vollzogen. Pedro Fonseca ist einer von ihnen.«
»Hm«, sagte Zamorra, »das könnte eine Falle sein. Andererseits ist Nicole Duval in der Hand unserer dämonischen Gegner, ich bin im Zugzwang. Ich werde Fonseca aufsuchen.«
»Er plant Übles,« Evita Arajo war vom Balkon hereingekommen. »Du mußt auf der Hut sein, Zamorra.«
Sie hatte ein weißes Kleid an, gegen das ihr schwarzes Haar einen deutlichen Kontrast bildete. Evita Arajos Haut war nur wenig gebräunt. Ein silberner Armreif war ihr einziger Schmuck.
Zwischen ihr und Zamorra gab es eine Bindung, die über eine normale Zusammenarbeit hinausging. Es funkte zwischen ihnen, das merkte jeder, der nicht mit geschlossenen Augen durch die Welt ging. Auch Nicole Duval war es nicht entgangen, und sie hatte deswegen geschmollt.
Zamorra war schon am vergangenen Tag die meiste Zeit mit Joao da Costa und Evita Arajo zusammen gewesen.
»Ich werde aufpassen«, sagte Zamorra.
Seine Hand berührte die der schönen dunkelhaarigen Frau. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Zamorra wandte sich ab. Er hatte anderes im Sinn, als ein Techtelmechtel mit der rassigen Brasilianerin. Außerdem war Nicole Duval in großer Gefahr.
Doch Zamorra konnte sich Evita Arajos Wirkung nicht entziehen. Damit mußte er sich früher oder später auseinandersetzen.
»Wir haben noch eine Weile Zeit«, sagte er zu Joao da Costa. »Wollen wir noch anderthalb Stunden die Ogun-Fibel studieren, um vielleicht doch noch einen Hinweis zu entdecken, wie wir Cumbacho von dieser Welt bannen oder den Göttern ihre Macht
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