0099 - Die Lava-Falle
dem viele tausend Grad heißen Material ausströmen mußte. Er hatte jedoch keine Zeit, darüber nachzudenken.
In der Mitte des Lavasees bildete sich nämlich ein Strudel. Das zähflüssige Gestein kam in Bewegung und rotierte rasend schnell um den einen Punkt.
Ein Trichter reichte bis an den Grund des Sees, und in diesem Schlund stieg eine Gestalt empor.
Es riß Giorgio von dem Felsen hoch. Sein Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei. Das Entsetzen schnürte ihm die Kehle zu.
Deutlich erkannte er die einstmals so hübsche junge Frau, die auf einer Lavawoge zu schweben schien.
Pat Willards lange blonde Haare waren fast vollständig weggesengt. Gesicht und Hände waren rußgeschwärzt, die Kleidung zerfetzt und an vielen Stellen verbrannt.
Dennoch lächelte sie Giorgio zu!
Er konnte es nicht fassen. Sie lächelte tatsächlich! Und sie streckte ihm lockend die Hände entgegen.
Ihre tiefblauen Augen leuchteten in einem unheiligen Feuer. Ihr Blick schien ihm in die Seele zu dringen.
Erschrocken erkannte er, daß sein eigener Wille gelähmt wurde. Instinktiv wollte er fliehen, doch der magische Blick des Mädchens hielt ihn fest.
»Giorgio, komm doch!« rief sie ihm zu. Nun hatte sie die Oberfläche des Lavasees erreicht und stieg nicht weiter. Der Trichter war verschwunden, die Glutmassen waberten still in dem See. »Giorgio! Du liebst mich! Komm! Komm zu mir! Wir werden für immer vereint sein, nur du und ich! Komm, Giorgio, ich warte auf dich!«
So mußten die Sirenen Odysseus gelockt haben. Giorgio erinnerte sich schlagartig an die alten Sagen, die er in der Schule gelernt hatte. Verzweifelt preßte er seine vor Aufregung feuchten Hände gegen die Ohren, doch bei ihm half dieses Mittel nicht. Odysseus hatte die Stimmen der Sirenen ausschalten können, indem er sich die Ohren verstopfte. Pats Stimme drang jedoch direkt in Giorgios Gehirn.
Der unwiderstehliche Drang, in den Lavasee zu springen, packte den jungen Mann. In der Tiefe des kochenden Gesteins glaubte er plötzlich, ein riesenhaftes Wesen zu erkennen, das ständig seine Form veränderte. Wie ein Krake!
»Komm zu mir!« lockte Pat Willard noch einmal, doch das Auftauchen des abscheulichen Monsters rettete Giorgio Serpione.
Das Grauen war stärker, als die zwingende Stimme in seinen Gedanken. Er hatte nicht die Kraft, sich gegen den Befehl zu stemmen, aber er ließ sich nach hinten fallen.
Er kippte über den Felsrand des Kraters, überschlug sich und rollte den Abhang hinunter. Noch war er wie gelähmt, so daß er sich nicht abstützen konnte. Ein paarmal schlug er mit Kopf, Schultern und Knien hart auf. Die scharfkantigen Lavabrocken zerfetzten seine Kleider und zerschnitten seine Haut, aber er kam lebend am Ende des Hanges an. Und das war in seiner Lage schon eine Menge wert.
Keuchend stemmte er sich auf die Ellbogen hoch. Mit vor Grauen flackernden Augen stierte er zu dem Kraterrand hinauf.
Zäh schwappte die Lava über. Auf einer breiten Front floß das rotglühende Gestein auf ihn zu. Eine Fontäne jagte aus dem Kratersee hoch.
Mit einem Aufschrei warf Giorgio sich zur Seite und entkam der niedersausenden Lava um Haaresbreite. Ein paar Spritzer brannten sich durch seine Kleider.
Mit letzter Kraft floh er und wankte zu seinem Jeep, zog sich ächzend hinter das Steuer und biß die Zähne zusammen. Er hatte böse Brandwunden, wo ihn die Lavaspritzer getroffen hatten, und die Schwäche drohte ihn zu übermannen.
Die Straße verschwamm vor seinen Augen, als er wie ein Betrunkener talwärts fuhr. Immer wieder geriet der Jeep gefährlich nahe an den ungesicherten Straßenrand. Eine falsche Bewegung am Lenkrad, und der Jeep mußte unweigerlich in die Tiefe stürzen.
Das Kreischen der überhitzten Bremsen brachte Giorgio zur Besinnung. Er erkannte die gefährliche Spitzkehre, schaltete herunter, trat das Bremspedal mit aller Kraft und konnte den Wagen eben noch abfangen.
Auf der Geraden ließ er den Wagen wieder laufen. Er floh in panischer Angst. Noch immer glaubte er, die lockende Stimme des Mädchens zu hören, das aus der Lava wiedergekommen war.
Er fuhr nur noch automatisch, und er verdankte es mehr einem glücklichen Zufall als seinem Können, daß er den Stadtrand von Catania überhaupt erreichte.
Dann verließen ihn jedoch die Kräfte. Entgegenkommende Autofahrer hupten heftig, aber sie konnten den Jungen nicht mehr vor der beginnenden Ohnmacht retten.
Der Jeep schleuderte, stellte sich quer und krachte gegen eine
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