0099 - Die Lava-Falle
diesem Moment an keine ruhige Minute mehr hatte, bis Bill zu ihr zurückkam.
***
»Giorgio, Faulpelz! Steh endlich auf! Es ist schon Mittagszeit!«
Signora Serpione steckte den Kopf in das Zimmer ihres Sohnes und musterte Giorgio ratlos. Er lag noch immer im Bett, bleich und regungslos wie eine Leiche.
»Hast du nicht gehört?« Die zur Fülle neigende Frau mit den kurzen schwarzen Locken und dem von vielen Sorgen zerfurchten Gesicht trat an sein Bett und gab ihm einen leichten Stoß. »Giorgio! Was passiert ist, ist nicht deine Schuld! Das sagen alle! Der Krater war noch nie mit Lava gefüllt.«
Giorgio schüttelte nur den Kopf. Seine schwarzen Augen waren starr zur Decke gerichtet.
Signora Serpione stutzte. »Hast du diese Amerikanerin vielleicht geliebt?« fragte sie bestürzt. »Bist du deshalb so durcheinander?«
Seine Lippen bebten, als er zu sprechen versuchte. Er mußte mehrmals ansetzen, ehe er ein Wort herausbrachte. »Ja, auch, Mama, aber das ist es nicht!«
»Na, was ist es dann?« Seine Mutter beugte sich über ihn und legte die Hand auf seine Stirn. Sie war schweißnaß und gleichzeitig eiskalt. »Du bist krank, Junge! Ich hole den Dottore!«
»Nein!« rief er hastig. »Nicht, Mama! Ich bin nicht krank… es ist nur… sie ruft mich…«
»Sie ruft dich?« wiederholte seine Mutter verständnislos. »Wer?«
Doch Giorgio verfiel wieder in tiefes Schweigen. Verwirrt verließ seine Mutter das Zimmer.
Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, als er hastig aus dem Bett sprang, in seine Kleider schlüpfte und lautlos das Haus verließ. Seine nichtsahnende Mutter saß mit seinem Vater in der geräumigen Wohnküche und berichtete über den seltsamen Zustand ihres Jungen.
Giorgio lief zu der Werkstatt, in der er arbeitete. Der alte Jeep stand vor der Tankstelle, der Zündschlüssel steckte. Sein Chef war ein netter, älterer Mann, der viel für ihn übrig hatte. Giorgio war ein guter Arbeiter, der nie Schwierigkeiten machte und alles gewissenhaft erledigte. Daher hatte sein Chef auch nichts dagegen, wenn er sich den Jeep ausborgte.
Giorgio startete und raste wie verrückt durch Catania. Sogar in dieser Stadt mit ihren temperamentvollen Autofahrern fiel er auf, aber keine Polizeistreife kreuzte seine Bahn.
Ungehindert erreichte er den Stadtrand. Die schmale Straße wand sich zwischen fruchtbaren Weingärten in die Höhe. Die Pflanzen an den Berghängen verdankten ihre Existenz der Lava, die einst das ganze Gebiet verwüstet hatte. Heute war sie der beste Nährboden.
Doch für die Schönheiten der Natur hatte Giorgio kein Auge, auch nicht für das tiefblaue Meer, das unter ihm in der Sonnenglut funkelte. Immer wieder blickte er gehetzt zu dem Vulkan hinauf, dessen Gipfel hinter düsteren schwarzen Wolken verborgen blieb.
Obwohl er an diesem Tag niemanden bei sich hatte, dem er imponieren wellte, raste der junge Mann die steile Straße in einem so halsbrecherischen Tempo hinauf, als wolle er sich absichtlich in Lebensgefahr begeben. Verkrampft hing er hinter dem Steuer, bremste vor den Haarnadelkurven nur kurz ab und trat mitten in der Kehre wieder voll auf das Gaspedal. Der Motor des alten Jeeps röhrte überdreht, aus dem Auspuff quollen dicke blaue Wolken.
Schweißüberströmt aber wohlbehalten erreichte Giorgio den kleinen Parkplatz. Niemand hielt sich hier oben auf. Obwohl die Sonne schien, war es in dieser Höhe bereits empfindlich kühl. Die Häuser von Catania wirkten wie Spielzeug, ebenso die Jachten und Frachtschiffe draußen auf dem Meer.
Giorgio atmete tief durch, ehe er sich auf den Weg machte. Er ging genau dieselbe Strecke wie am Vortag, kletterte den Kraterrand hinauf und blieb betroffen stehen.
Heute bot sich der Krater ganz normal dar, ein tief in den Berg hineinreichendes Loch mit schwarzen Wänden. Aus der Spalte am Grund zogen gelbliche, stinkende Schwefeldämpfe.
Genau wußte Giorgio selbst nicht, wieso er hierhergekommen war. Dennoch setzte er sich auf einen der bizarr geformten schwarzen Felsblöcke und starrte in den Krater.
Er brauchte nicht lange zu warten. Schon nach wenigen Minuten erschien in der Tiefe ein rotes Leuchten, wurde intensiver und näherte sich. Die Lava stieg aus dem Berginneren empor.
Obwohl die tödliche Gefahr näherkam, blieb der Junge sitzen. Wie gebannt starrte er auf das flüssige Gestein, das schon nach einigen Minuten den Kraterrand erreichte und überzufließen drohte.
Seltsamerweise spürte Giorgio keine Hitze, die eigentlich von
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