0099 - Hexennacht
Schaben. Als ob rostige Ketten über das Kopfsteinpflaster des Hofes geschleift würden.
Micky Pool sah sich um. Er trug schließlich die Verantwortung für die Wölflinge.
Ihm blieb das Herz fast stehen, als ihm bewußt wurde, daß etwas nicht stimmte. Wie schwül es war, und gleichzeitig kam vom Gemäuer her ein eiskalter Hauch herüber. Ein todeskalter Hauch.
Sie waren nicht allein. Immer deutlicher kristallisierte sich diese Erkenntnis in Micky Pool heraus. Er saß sprungbereit auf seiner Decke. Wie egal war ihm auf einmal das Spielgeschehen auf dem Bildschirm!
Er zuckte zusammen, als er den Lichtstrudel erkannte, der sich rings um den Kreis der Scouts ausdehnte und immer greller und gleißender wurde.
Konturen formten sich aus dem Licht, und Sekunden später waren die Umrisse von geduckten, mit Armen und Händen herumschwingenden Gestalten zu erkennen.
Micky sah auf die Wölflinge nieder, die ausnahmslos zu schlafen schienen.
Nur der rothaarige Joe war noch ahnungslos. Er hockte auf seiner Decke.
Die Umwelt war für ihn versunken. Ihn interessierten nur die Jagd nach dem Baseball und die schnellen Beine der Fänger.
Micky Pool blieb der Schrei in der Kohle stecken.
Noch immer hielt das schrille Gekicher an. Die unheimlichen, angsteinflößenden Gestalten kamen näher. Wie hypnotisiert sah Micky Pool ihnen entgegen.
Ganz allmählich nur sank der Lichtstrudel in sich zusammen und machte den sich materialisierenden Körpern Platz.
Micky Pool starrte wie gelähmt auf das Schauspiel, das sich ihm bot. Sein Wille war ausgeschaltet. Seine Glieder gehorchten ihm nicht mehr. Sogar die Regungen seines Gehirns wurden träger, und eine furchtbare Leere breitete sich darin aus.
Instinktiv war es Micky Pool bewußt, daß er sich um die Jungen, die in ihrem Schlaf hilflos und verletzbar waren, kümmern und sie schützen mußte.
Das Kichern der Hexen schwoll an zu einem ohrenbetäubenden Lärm.
Micky erkannte furchtbare, knochige Gesichter mit Augenhöhlen, in denen irisierende Lichter flimmerten.
Er sah Knochenhände, die stoßbereit über den Köpfen der schlafenden Knaben innehielten.
Seine Augen sahen das Unfaßbare, doch seine Sinne konnten es nicht verarbeiten.
Er bemerkte, wie die größte Gestalt mit dem wallenden Haar auf ihn zuschlich, ohne daß er es verhindern konnte. Wie gebannt blickte Micky Pool Radegonde, der Hexenanführerin, entgegen.
Das grünschimmernde Licht in ihren Augenhöhlen wurde zu einem feurig stechenden Blick voller Haß und Mordlust.
Da spürte Micky Pool die Eiseskälte von zwei Knochenfingern auf seinem Körper.
Er sprang auf, schweißgebadet, und fror erbärmlich.
»Alle Wölflinge hoch«, kommandierte er mit einer Stimme, die ihm kaum gehorchen wollte.
»Eins, zwei, drei — jetzt«, krächzte er.
Oh, er hatte seine Gruppe gut gedrillt.
Etwa die Hälfte der schlafenden Jungen stand traumtrunken auf, versuchte Haltung anzunehmen und die Augen zu öffnen, deren Lider immer wieder zuklappten.
Joe — als einziger unberührt von dem Geschehen ringsum — sah stirnrunzelnd auf. »Macht doch nicht so ’nen Lärm, verdammt…« sagte er.
Es waren für den rothaarigen Joe, der sich durch Caddyjobs und eisernes Sparen das tragbare Fernsehgerät verdient hatte, die letzten Worté, die er sprechen konnte.
Zu fünft stürzten sie sich auf ihn und drückten ihm die Kehle zu. Es kam so plötzlich, daß Joe es wie erstarrt mit sich geschehen ließ.
Micky Pool sprang auf. Er schlug die Knochenfinger, die nach ihm griffen, zur Seite. »Wölflinge«, keuchte er, lauft fort. »Lauft um euer Leben, schnell… jeder rette sich, wer kann…«
Das Inferno war komplett.
Hohlwangige, bleiche Hexenfratzen umringten die verstörten Jungen.
Einige setzten sich ab, liefen blindlings vom Hof, gejagt von den kichernden, bedrohlichen Stimmen.
Andere ließen sich auf einen Kampf ein, der von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.
Erst jetzt, als sie merkten, daß es keine Menschen waren, mit denen sie kämpften, versuchten sie, von entsetzlicher Panik gepackt, zu fliehen.
Micky kämpfte gegen Radegonde, die Hexenanführerin.
Hohl hallte ihre Stimme auf ihn zu.
»Ihr seid verloren, sieh es ein. Unser Gebieter will seine Opfer, seine Gabe für das Teuflische, für die Unterwelt… Wehre dich nicht…«
In Micky Pool bäumte sich ein Lebenswille auf, der so stark wie nie zuvor war.
Er ging zum Gegenangriff über, sprang Radegonde an mit einer Wucht, die ihn selbst überraschte.
Wutgeheul
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