0099 - Hexennacht
es nicht glauben. Was sollte dieses Theater? Es entbehrte nicht einer gewissen Komik.
Aber tief in ihrem Inneren wußte Harriet Gilbert, daß es bitterer Ernst war. Sie erschrak, als sie bemerkte, wie in der Dunkelheit ein starker Wind aufkam. Dabei gab es doch zu dieser Jahreszeit hier oben keinen Luftzug. Sollte es vielleicht ein Unwetter geben, etwa eines dieser Sommergewitter?
Als sie zum Plimmel hinaufblickte, schien sich ihre Ahnung zu bestätigen. Sie sah einen grellen Blitz über den anthrazitfarbigen Himmel zucken.
Der Tanz der Hexen wurde wilder und zügelloser. Harriet spürte einen Schwindel in sich aufsteigen. Der jähe Wunsch, aus diesem Teufelskreis auszubrechen und zu fliehen, kroch in ihr hoch, doch sie war vor Angst wie gelähmt und konnte sich nicht rühren.
Die Hexen trugen auf einmal Zweige in den Knochenhänden, mit denen sie Harriet beim Vorübertanzen berührten. Anfangs spürte die Frau im Kreis es kaum, aber — je länger die Zweige auf ihre Haut klatschten, um so schmerzhafter wurde es. Schließlich schrie sie gellend. »Laßt das… so laßt das doch…«
Doch die Orgie ging weiter. Die Luft war erfüllt von Schwefelduft und dem Gestank widerlicher Pflanzensäfte.
Wind heulte los. Er peitschte von den Berghängen hinunter und fegte zwei Gartenstühle, die auf der Terrasse standen, den Hang hinab. Aber der Wind war nicht stark genug, um den Gestank, an dem Harriet würgte, zu vertreiben. Ihre Haut brannte von den Schlägen der Zweige. Immer deutlicher wurde ihr klar, daß Zamorras Assistentin recht gehabt hatte.
Es ging den Hexen von Boston nur um ihre Rache an Eve Livermore, für die sie stellvertretend hier stand.
Heißer, versengender Haß gegen ihre Ahnfrau erfaßte Harriet.
Der Sturm wurde furchterregend. Der Donner ließ Wände und Pfeiler eines Gartenhauses, das im Hintergrund stand, zerbrechen und trug die Holzteile in alle Richtungen.
Erst jetzt bemerkte Harriet, daß die Hexen stehengeblieben waren. Der Kreis schloß sich enger um sie. Dann fühlte Harriet, wie sie hochgehoben wurde.
Die Berührungen der Hexen, die sie trugen, waren wie Dolchstiche. Dort, wo die Knochenkrallen ihre Haut trafen, erlitt Harriet sofort tiefe Stichwunden.
Erst jetzt erwachte sie aus ihrem Phlegma.
Sie begann zu zappeln und zu strampeln. »Laßt mich los. Nehmt doch die da… dieses Mädchen, das ich euch als Tribut gezollt habe.«
Sieben grün glühende Augenpaare waren dicht vor ihr. Über den Leib der Diva spannte sich ein Seil und als sie benommen aufsah, bemerkte sie, daß sie auf dem Holzstoß stand und daß man sie an einem Baumstamm, der aus dem Stoß herausragte, festband.
»Nein«, schrie sie auf, das Entsetzliche plötzlich begreifend. »Ich will nicht. Bindet mich los!«
Geifernd und feixend packten die Hexen sieh wieder an den Händen. Ein schauriger Gesang ertönte, und satanische Beschwörungen folgten.
Unter grellen Blitzen starrte Harriet die Hexen nacheinander an, erkannte die furchterregenden Kräfte, die von dieser schrecklichen Schar ausgingen, las glänzende, teuflische Wut in den grünen Lichtern, die aus den Augenhöhlen blitzten, und spürte den bleichen Hauch des Todes wie eine Urgewalt — und mit eisiger Kälte — auf sich Zuströmen.
Plötzlich trug Radegonde eine Fackel in der Hand. Es war, als hätte sie nur ein Holz in die Höhe gehalten und es an einem der Blitze, die vom Himmel zuckten, entzündet.
Mit der Fackel bückte sie sich und hielt sie an den Holzstoß.
Ein schrilles, sirenenartiges Jauchzen erfüllte die Atmosphäre, als die Hexen von dem Holzstoß zurücktraten und zusahen, wie die Flamme sich auf den trockenen Holzscheiten ausbreitete.
Nur die Seile, die Harriet mit dem Baumstamm zusammengebunden hatten, hielten sie noch senkrecht. Sie war einer Ohnmacht nahe. Ihr bisheriges Leben raste wie ein schnell abgespulter Film an ihr vorbei. Sie konnte nicht mehr daran glauben, daß es nur ein Alptraum war. Dies war erschreckende, unfaßbare Wirklichkeit. Die Flammen krochen hoch, manche Spitzen berührten sie schon an der Haut. Wie gebannt sah sie in die vorübergleitenden, im Rauch verschwindenden Fratzen der Hexen, und sie spürte, wie ihre Sinneskräfte sie zu verlassen drohten.
Harriet Gilbert rang nach Atem. Sie hörte einen Schrei, den sie nicht als ihren eigenen erkannte, und dann sank ihre Stimme in ein kurzes, röchelndes Keuchen, wie Erstickende es ausstoßen.
Größer als alle Todesangst aber war der Haß, der in ihr hochstieg.
Weitere Kostenlose Bücher