0099 - Hexennacht
sich niemand auf. Und doch wußte Nicole, obwohl sie optisch nichts wahrnehmen konnte, daß ihre Verfolgerinnen aufrückten und ihr nachkamen.
Sie hetzte auf eine andere Tür zu und riß sie auf.
Ein Treppenhaus!
Ihr blieb noch eine kurze Zeitspanne. Sie sah eine Treppe vor sich, die ins Dachgeschoß führte, und lief darauf zu.
Ihr Atem jagte, ihr war unglaublich heiß und übel. Sie hatte das Gefühl, jeden Augenblick vor Schwäche umsinken zu müssen. Nur der Gedanke an Zamorra gab ihr Kraft.
Blindlings stolperte Nicole Duval die Stufen hoch.
Auf einmal blieb sie stehen. Ihre Blicke durchforschten die Stufe unter ihr.
Da vernahm sie eine ferne Stimme.
»Bald bist du an der Reihe…«
Es klang wie eine hohle Elektronenstimme, die Nicole wegen ihres metallischen Klangs einen Schauer über den Rücken jagte.
»Versteck dich, wo du willst — wir finden dich…« Die Stimme lachte.
Nicole sah sich um. »Sei nicht so feige. Zeig’ dich mir!« befahl sie und unterdrückte ein Zittern.
Aber die Stimme lachte als Antwort. »Du bist die intelligenteste von euch dreien«, sagte sie. »Dich heben wir uns bis zuletzt auf. Willst du an der großen Opferfeier teilnehmen? An unserem Ritual?«
»Nein«, sagte Nicole bebend. »Ich interessiere mich nicht dafür, hörst du?«
Doch die Stimme gab keine Antwort mehr. Nicole fröstelte, obwohl es gleichbleibend schwül war. Sie ging langsamer zum Dachgeschoß hinauf.
Nicole war ratlos, was ihre nächsten Schritte betraf. Eine Flucht würde man ihr verwehren. Auch hatte sie das Gefühl, in June Atkins Nähe bleiben zu müssen.
Was für eine Opferfeier meinen sie? fragte sie sich bitter. Sie stolperte auf den Dachboden, in dem tropische Temperaturen herrschten. Ihr Atem wurde augenblicklich eingeengt. Obwohl Nicole die Dachluken aufstieß und die Tür hinter sich verrammelte, glaubte sie hier oben ersticken zu müssen. Und die Gefahr, in der sie schwebte, war immer noch gegenwärtig, obwohl man ihr eine Atempause gönnte.
Was für eine Opferfeier? überlegte sie.
Sie hatte Angst um das junge Mädchen, das ohne Schuld in diese aussichtslose Lage geraten war.
Und sie entsann sich der Worte der Diva im Auto. Würde man June Atkins wirklich Vampirbisse zufügen und sie zusammenschrumpfen lassen zur Größe einer Puppe?
Ich hätte schon auf dem Filmgelände eingreifen müssen, dachte Nicole schuldbewußt, dort war Zamorra noch in der Nähe. Aber ich war ja viel zu eifrig, wollte mich nützlich machen und folgte meiner Neugier. Das war mein Fehler, der nun June Atkins und mir das Leben kosten wird.
Sie beugte sich aus dem Fenster und sah auf einmal die Hexen. Es waren sechs knochige, zerlumpte Gestalten, deren Körper im Schein der Innenhofbeleuchtung fast durchsichtig schienen.
Sie kannte diesen gräßlichen Anblick schon vom Filmatelier her, denn die Schreckensszenen waren ihr noch gut in Erinnerung.
Ratlos sah sie eine Weile zu, was die Hexen taten. Zunächst ahnte sie nicht, womit sie sich beschäftigten. Sie waren eitrig wie Ameisen, bewegten sich hin und her und schienen sehr in Eile zu sein.
Erst nach einigen Minuten begriff Nicole, daß die sechs Hexen flink und fleißig Holz aufeinanderschichteten. Sie huschten die steile Steintreppe hinunter und rissen kleine Sträucher aus, flogen wieder die Stufen hinauf und brachen die Buschäste in kleine Stücke.
Nicole beobachtete, daß Harriet Gilbert immer noch im Swimming-pool schwamm und eifrig, aber ahnungslos, den Vorbereitungen der Hexen für ›die große Opferfeier‹ zusah.
Immer wieder warf die Diva hämische Blicke zu der gefesselten June Atkins hinüber. Nicole ahnte, daß sie June für das Opfer hielt und sich darüber freute.
Wie abgrundtief schwarz mußte die Seele dieser Frau sein! Dann erinnerte sich Nicole an Zamorras Worte. Er glaubte, Harriet wäre durch die Vampirbisse àuf ihrem Hals bereits eines der Dämonenweiber geworden.
Nicole fragte sich, wie sie im Ernstfall verhindern konnte, daß die Hexendämonen die Diva und June töteten.
Aber sie war ja selbst in Gefahr. Wenn nicht rechtzeitig Rettung kam, war auch sie verloren. Dann würde es drei ›Tribute‹ geben, die die Hexen zur Befriedigung ihrer Gier aussaugen würden.
***
Zamorra war ganz darauf angewiesen, daß die Hexe, die in ihrem weltlichen Leben Maud Prescott geheißen hatte, den Lotsen für ihn spielte.
Sie fuhren jetzt auf einer kurvigen Serpentine, die aber so breit war, daß sechs Fahrzeuge nebeneinander Platz
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