01 Arthur und die vergessenen Buecher
Bedeutung sein konnte.
»Im Jahre 1088 entstand hier die erste Universität Europas«, erklärte der Antiquar. »Man kann Bologna also mit Fug und Recht als die Wiege der europäischen Gelehrsamkeit betrachten.« In seiner Stimme schwang unverkennbarer Stolz mit.
»Aus allen Ecken Europas kamen junge Menschen nach Bologna, um bei den damals weltberühmten Professoren zu studieren. Franzosen, Engländer, Ungarn, Polen, Deutsche – Bolognas Ruf reichte bis in den fernsten Winkel des Kontinents. Und damals begann man auch mit dem Bau der torri . Bologna ist übrigens nicht die einzige italienische Stadt, in der solche Türme gebaut wurden. San Gimignano in der Toskana hat auch dreizehn davon. Allerdings gab es nirgendwo so viele torri wie in Bologna.«
Er zog einen Fotoband aus einem Regal. »Das ist ein Buch über die Türme Bolognas. Viel mehr als darin steht weiß ich leider auch nicht. Um die Türme ranken sich noch immer viele Rätsel. Und dann gibt es ja auch noch die torresotti . Das sind kleine Wehranlagen, von denen auch noch einige erhalten sind.«
Wir blätterten den dicken Band durch, konnten allerdings keine neuen Erkenntnisse gewinnen, die uns bei unserer Suche hätten weiterhelfen können. Aber der Hinweis auf die Türme schien uns bedeutsam zu sein und wir beschlossen, noch einmal alle Türme der Stadt aufzusuchen.
Diesmal spazierten wir nicht nach dem Zufallsprinzip durch die Straßen, sondern kämmten die Altstadt systematisch mithilfe eines Stadtplans durch. So konnten wir sicher sein, wirklich bei jedem der noch existierenden Türme vorbeizukommen.
Wir zeichneten die Standorte der Türme in unseren Stadtplan ein. Nach einigen Stunden hatten wir die Aufgabe abgeschlossen und fanden uns wieder in unserem Eiscafé ein, um das Ergebnis auszuwerten.
Auf den ersten Blick waren die Türme völlig zufällig über das Stadtbild verteilt. Es gab keinen eindeutigen Mittelpunkt und keine klar erkennbare Struktur.
»Kein Wunder«, sagte Larissa. »Sie wurden ja nicht nach einem zentralen Plan errichtet, sondern von verschiedenen Adelsfamilien, die miteinander wetteiferten. Jeder einzelne Turmbauer hatte vielleicht seinen Plan, aber nur für seine Türme und nicht für die der anderen Familien.«
Wir verbanden die Standorte der Türme untereinander mit Linien. Das Ergebnis war ein wirres Muster ohne jede erkennbare Struktur.
Larissa warf frustriert den Bleistift auf den Tisch. »So kommen wir einfach nicht weiter«, sagte sie.
Ich wusste auch keinen Rat. Aber das Herumsitzen nutzte uns auch nichts. Wir aßen in einem benachbarten Café ein paar mit Schinken belegte Baguettes und zogen weiter durch die Stadt, bis es dunkel wurde.
Bologna bei Nacht war ein noch magischerer Ort als tagsüber. Die wenigen Lichter in den Säulengängen erzeugten mehr Schatten als Licht, und der Schein der Straßenlaternen, sofern sie denn leuchteten, tauchte die Gassen der Altstadt in ein geheimnisvolles Halbdunkel. Von anderen Passanten hörte man zuerst das Hallen der Schritte, bevor sie schemenhaft in der Ferne oder aus einer Seitengasse auftauchten. Trotzdem fühlte ich mich in dieser Stadt sicher. Auch wenn hier und da mal ein Jugendlicher mit einem Handy in unserer Nähe auftauchte, beunruhigte mich das nicht weiter. Die Italiener schienen ihre Mobiltelefone noch mehr zu lieben als die Deutschen oder die Holländer.
An diesem Abend allerdings schlich sich wieder jenes merkwürdige Gefühl in meinem Nacken ein. Manchmal, wenn Larissa und ich durch eine einsame Gasse liefen, drehte ich mich unvermittelt um, konnte aber nie jemanden entdecken.
»Du hältst Ausschau nach Augen «, stellte Larissa fest, nachdem sie mein Verhalten eine Zeit lang beobachtet hatte.
Ich nickte. »Es ist dasselbe Gefühl wie in Amsterdam«, sagte ich.
»Ich habe einmal von einem Experiment gelesen, in dem bewiesen werden sollte, dass wir Menschen, die hinter uns sind, mit dem Körper wahrnehmen können, ohne uns umzudrehen«, erzählte Larissa.
»Und?«, fragte ich. »Ist der Nachweis gelungen?«
»Angeblich ja. Aber es war natürlich wie bei so vielen Versuchen: Kaum hat einer etwas herausgefunden, da tritt der Nächste an, um das Gegenteil zu beweisen.«
»So viel zur Wissenschaft: keine klare Aussage«, kommentierte ich. Aber vielleicht litt ich wirklich schon unter Verfolgungswahn, was nach den vorangegangenen Tagen ja verständlich war.
»Wenn wirklich Augen hinter uns her sind, dann wissen die Slivitskys bereits, dass wir in
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