01 Arthur und die vergessenen Buecher
leichter Stromschlag durch meinen Körper fahren. Seine Musik mochte vielleicht entspannend sein – doch sein Körper steckte voller Energie . Das Gefühl war nicht unangenehm. Alle meine Glieder schienen zu vibrieren, und für einen Moment war ich unfähig, mich zu bewegen.
Eben so überraschend, wie sie gekommen war, verschwand die Empfindung wieder. Ich suchte nach dem Musiker, aber er war bereits um die nächste Ecke verschwunden.
»Was hat er dir gesagt?« fragte Larissa.
Ich schüttelte meinen Kopf, um wieder ganz in die Gegenwart zurückzukommen. » Ihr müsst lernen, die Stadt zu lesen «, antwortete ich.
»Was soll denn das nun wieder heißen?«, fragte sie verständnislos.
»Wahrscheinlich bedeutet es gar nichts.« Ich war mir nicht sicher, ob mir die Sonne und die besondere Stimmung der Stadt nicht zugesetzt hatten und ich mir den ganzen Vorfall mit dem Musiker nicht nur eingebildet hatte. »Vielleicht war es nur so ein Spruch, den er immer ablässt, wenn er auf Touristen trifft«, mutmaßte ich. »Du weißt doch, etwas Mysteriöses kommt meistens gut an.«
»Das glaube ich nicht«, sagte sie nachdenklich. »Wer eine solche Musik machen kann, der hat keine billigen Sprüche nötig. Das war eindeutig eine Botschaft für uns.«
So ganz mochte ich ihre Meinung nicht abtun. Wir hatten in den letzten Tagen einiges erlebt, was ich noch vor einer Woche für blanken Unsinn gehalten hätte.
»Du meinst, es war ein Hinweis?«, fragte ich.
Sie nickte.
»Aber wer war er? Und woher kennt er uns?«
Larissa zuckte mit den Schultern. »Woher wusste Gerrit, was wir wollen? Wir werden nicht alle Fragen beantworten können.«
»Vielleicht nicht. Damit finde ich mich ja auch schon langsam ab. Aber dieser Hinweis bringt uns nicht viel weiter. Was heißt das, eine Stadt zu lesen ? Wie kann man eine Stadt lesen? Bücher kann man lesen, Stadtpläne auch noch, aber eine Stadt?«
»Du denkst zu rational«, sagte Larissa. »Wenn es um die Vergessenen Bücher geht, dann muss man seinen Geist auch für das scheinbar Irrationale öffnen. Das hast du doch selbst erfahren.«
Sie hatte leider recht. »OK. Also versuchen wir es noch mal: Was könnte es bedeuten, eine Stadt zu lesen?«
»Jede Stadt hat doch eine Geschichte. Wie sie gebaut ist, in welcher Form ihre Straßen angelegt sind, welche Gebäude wann zu welchen Zwecken entstanden sind. Vielleicht meint er das damit.«
»Dann müssen wir uns wohl ein wenig eingehender mit der Geschichte Bolognas beschäftigen«, folgerte ich.
»Und wer ist besser dazu geeignet als Signor Montalba?«, gab Larissa das Stichwort.
Wir fanden den Antiquar in seinem Laden, wo er wie eine Kröte hinter der kleinen Ladentheke hockte und gelangweilt einen Stapel Bücher durchblätterte. Er schien sich darüber zu freuen, dass wir ihn durch unser Erscheinen ein wenig ablenkten.
»Es gibt kaum noch wirklich bemerkenswerte alte Bücher auf dem Markt«, klagte er und schob den Bücherstapel vor sich beiseite. »Die Leute bringen immer mehr Schrott vorbei und erwarten dafür einen Spitzenpreis. Als ob alt gleichbedeutend mit wertvoll ist!«
Wir zogen uns zwei Fußhocker heran und berichteten ihm von unserem Anliegen. Montalbas Augen leuchteten auf. Dies war eines seiner Lieblingsthemen – und eine willkommene Abwechslung.
»Wie ihr vielleicht wisst, ist das Gebiet, auf dem Bologna sich heute befindet, bereits im neunten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung erstmals besiedelt worden. Im vierten Jahrhundert vor unserer Zeit wurde der Ort von den Galliern besetzt, die ihm auch den Namen Bononia verliehen – ein Name, den die Römer übrigens beibehielten, als sie die Eindringlinge ein paar Jahrhunderte später vertrieben.«
»Die Gallier – das waren doch die späteren Franzosen, oder?«, fragte Larissa nach.
Montalba nickte.
»Deshalb auch das Bononia oder heutige Boulogne in Frankreich«, bemerkte ich.
»Wie kommt ihr auf Boulogne?«, fragte der Alte. Wir erklärten ihm schnell den Hinweis, der uns nach Bologna geführt hatte.
»Ganz richtig«, sagte er. »Allerdings hatte das französische Bononia nie dieselbe Bedeutung wie Bologna. Bereits in der Zeit der Römer wuchs das italienische Bononia auf rund 20.000 Einwohner an und war eine der reichsten Städte Italiens. Die Stadt besaß schon damals einen quadratischen Grundriss mit einem gitterartigen Straßennetz, das bis heute erhalten ist.«
Ich machte mir eifrig Notizen. Vielleicht war das eine Information, die für uns von
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